Guantánamo-Tribunale gesetzeswidrig

Oberster Gerichtshof der USA stuft die von Präsident Bush eingesetzten militärischen Sondertribunale zur Aburteilung von Terrorverdächtigen im Gefangenenlager Guantánamo als illegal ein. Urteil stärkt Kongress und Genfer Konventionen

AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF

Die von der US-Regierung geplanten Militärtribunale gegen Internierte im Gefangenenlager Guantánamo verstoßen gegen die Verfassung und die Genfer Konventionen. Mit diesem Urteil verpasste der Oberste Gerichtshof gestern der Regierung von Präsident George W. Bush eine herbe Niederlage. Der Präsident habe mit der Schaffung der Sondertribunale seine Kompetenzen überschritten, die ihm der Kongress gegeben habe, so die Richter. Das Schicksal der rund 450 Terrorverdächtigen auf dem US-Militärstützpunkt in Kuba ist damit wieder völlig offen.

Bush reagierte gestern noch unentschlossen. Während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Japans Ministerpräsidenten Koizumi sagte er: „Wir werden das sehr ernst nehmen. Die amerikanischen Bürger sollen aber wissen, dass wir nicht einfach Killer freilassen werden. Ich möchte, dass die Leute auf Gunantánamo in ihre Heimatländer zurückkehren können – aber einige werden wir verurteilen müssen, wir haben sie schließlich auf dem Schlachtfeld aufgegriffen.“ Der Kongress habe ihm die Macht gegeben, Militärtribunale im Fall der Terrorverdächtigen einzurichten, daher werde er nun mit dem Kongress eine gemeinsame Lösung finden.

Die nun verhandelte Klage war von dem jemenitischen Guantánamo-Häftling Salim Ahmed Hamdan, 36, eingereicht worden, der Bodyguard und Chauffeur von Al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden war. Hamdan ist wie neun andere Männer in Guantánamo wegen Verschwörung gegen die USA angeklagt. Seine Anwälte argumentieren, dass die Tribunale gegen das Prinzip der Gewaltenteilung und damit gegen die Verfassung verstoßen. Die so genannten Militärkommissionen unterstehen allein dem Pentagon, was der Verteidigung nur eingeschränkte Rechte gäbe. Der US Supreme Court gab ihnen mit einem 5:3-Urteil, geschrieben von Richter John Paul Stevens, Recht. Richter John Roberts hatte nicht mitgestimmt, weil er sich für befangen erklärt hatte. Er hatte in einem früheren Urteil als Berufungsrichter gegen Hamdan und für die Regierung entschieden.

Bush hatte die offiziell „Militärkommissionen“ genannten Tribunale nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ohne Einbeziehung des US-Kongresses ins Leben gerufen. Er argumentierte, dass es sich bei den in Guantánamo festgehaltenen Terrorverdächtigen um „feindliche Kämpfer“ handele und nicht um Kriegsgefangene. Daher seien Verfahren gemäß der Genfer Konventionen nicht notwendig.

2004 hatte der Supreme Court bereits geurteilt, dass Bush nicht die gesetzliche Grundlage besitze, auf der er Terrorverdächtige ergreifen und ohne zeitliche Begrenzung inhaftieren sowie ihnen den Zugang zu Anwälten verweigern könne. Die Bush-Administration hatte sich jedoch im Wesentlichen nicht an diese Vorgabe gehalten.Im Falle Hamdans konzentrierte sich der Supreme Court ausschließlich auf die Frage nach den Militärtribunalen, nicht aber auf die Frage, ob das Lager Guantánamo rechtmäßig sei. Mitarbeiter der Regierung hatten in den letzten Wochen signalisiert, dass sie ein solches Urteil des Gerichts erwarteten. Bush selbst hatte letzte Woche gesagt, dass er Guantánamo gern schließen würde. „Gleichzeitig“ sagte er Reportern, „halten wir dort sehr gefährliche Leute fest.“

meinung und diskussion SEITE 10