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Archiv-Artikel

Der Modemüller

MODE Karl-Heinz Müller gründete 2001 in Köln die „Bread and Butter“, in Berlin baute er sie zur umsatzstärksten Mode-messe der Stadt aus. Im Gespräch gibt sich der 53-Jährige betont hemdsärmlig

Es ist wieder Modewoche

■ Die Sommerausgabe der Berliner „Fashion Week“ läuft vom 7. bis 11. Juli. Die Modenschauen der Designer finden unter dem Titel „Mercedes Benz Fashion Week“ auf dem Bebelplatz statt. Die Veranstalter erwarten 20.000 Fachbesucher allein im Ausstellungszelt am Bebelplatz. Parallel zeigt die Modemesse „Bread & Butter“ aktuelle Streetwear – also Jeans etc. – auf dem Gelände des stillgelegten Flugplatzes Tempelhof.

■ Ein Highlight der Fashion Week soll die Modenschau „The World of Calvin Klein“ in der Münze sein. Die Industriehalle wurde extra für diese Präsentation umgebaut.

■ Ex-Kultursenator Thomas Flierl (Linke) hat die Durchführung der Fashion Week am Ort der Bücherverbrennung während des NS-Regimes scharf kritisiert. Der Bebelplatz sollte von allen kommerziellen Nutzungen freigehalten werden, so Flierl. Auch zahlreiche Initiativen protestieren dagegen.

VON NINA APIN UND KRISTINA PEZZEI

Karl-Heinz Müller empfängt im Hauptquartier am Hackeschen Markt. Empfangstresen, verglaste Büros, Ausblick auf Modeläden in schick sanierten Gassen. Am Ende eines langen Gangs liegt sein Büro: unverputzter Beton, Ledersofas. Auf dem Schreibtisch steht teurer Whiskey, darunter parkt ein ferngesteuerter Miniatur-Geländewagen der Marke Mercedes.

Der Chef der umsatzstärksten Modemesse Berlins lässt sich in einen Sessel fallen. Er trägt abgewetzte Blue Jeans, Birkenstocks und ein Lacoste-Poloshirt zum Dreitagebart. Kein Mann, bei dem man an modische Eleganz denkt, eher an einen hemdsärmeligen Unternehmer. So inszeniert sich der 53-Jährige, der die Messe Bread and Butter 2001 in Köln gründete, gern: als unkonventionellen Macher, der die Jeans- und Sportswear-Mode kennt wie kein Zweiter.

„Die Aussteller und Fachbesucher verstehen, die Marken spüren“, darin liege seine Kunst, sagt er. Wie man eine Marke spürt? Müller lehnt sich vor und doziert. „Auf dem Laufenden sein, die richtigen Firmen haben, sorgfältig abwägen: Ist die Marke jetzt noch gut, oder ist ihre Zeit vorbei?“ Ein Name, der letzte Saison als letzter Schrei galt, könne dieses Jahr schon abgeschrieben sein. Ist der Absturz erst eingeleitet, gebe es kein Halten mehr: „Mit einer Marke, deren Taschen im Baumarkt liegen, machst du dich kaputt.“

Image ist alles, das weiß Müller, der sich bei Pressekonferenzen schon mal auf einem Thron inszeniert. Unvergessen der Auftritt im Kino International, als Müller im Beisein des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) die Rückkehr der Bread and Butter nach Berlin verkündete: Vom Scheinwerferlicht bis zu pathetischen Klängen war der Termin bis ins Detail geplant.

Ganz großer Auftritt

Dass er den großen Auftritt genießt, streitet Müller halbherzig ab. Fast kokett wirkt dazu sein provokant lässiger Stil in Jeans und Shirts. Die Show mache er für das Wohlbefinden hochkarätiger Kunden wie „Diesel“-Chef Renzo Rosso, der im Privatjet direkt von seinem Weinberg zur Messe anreist: „Eine Jeans ist eine imagebestimmte Ware, wie eine Zigarette oder Automarke“, sagt Müller. „Um Innovation geht es hier weniger, sondern in erster Linie um das Produkt.“ An der Hose könne man nicht viel neu erfinden. „Verkauft wird ein Gefühl.“

Das bedient Müller mit exklusivem Catering, rauschenden Festen und „einem großartigen Venue“, dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Überhaupt, viel Englisch muss es sein in der Modebranche – an „location“, „event“ und „brand“ kommt keiner vorbei, und dass ein „Recapmeeting“ nach der Messe auf Deutsch eine schlichte Bilanzkonferenz sein könnte, darauf kommt nicht mal seine Pressesprecherin.

Zehn Jahre hat sich Müller mit der Bread and Butter an den Standort Tempelhof gebunden. Ungewöhnlich lange für einen, der Bewegung als Lebensmotto versteht. Er könne sich auch mit festem Standort verändern, neue Schauen, neue Marken, da sei genügend im Fluss. Irgendwo in dem kräftigen Mann muss auch ein Bedürfnis schlummern nach Zurücklehnen, Durchatmen, Zur-Ruhe-Kommen. Immerhin ist er mit Frau und fünf Kindern nach Wilmersdorf gezogen, dem Symbol für bürgerliches Berliner Leben. Mehr erzählt er nicht über die Familie. Privat sei privat – „Homestorys“ gibt es nicht.

Streit um Mietvertrag

Leicht kann es nicht gewesen sein, die Anfragen danach abzuwehren. Als Müller 2009 den Umzug der Messe von Barcelona nach Berlin ankündigte, war der Aufruhr groß. Zu heimlich eingefädelt schien der Handel, hinter dem Rücken von Politikern und Öffentlichkeit, zu viele andere Interessenten fühlten sich ausgebootet. Die Filmstudios Babelsberg etwa hätten das Flughafengebäude gern gehabt – nur sind Filmdrehs schwer möglich, wenn zweimal im Jahr der Gebäudekomplex für Modeschauen reserviert ist. Der Mietvertrag galt als Geheimsache zwischen Müller und Wowereit, der Parlamentariern die Akteneinsicht verwehrte. Bis heute schweigen beide über Details. Skandalöses stand aber offenbar nicht darin – zwei CDU-Abgeordnete, die im August 2009 Einsicht in den Vertrag nehmen durften, zogen daraufhin ihre Klage beim Verfassungsgericht zurück.

Das Unbehagen der Berliner bezog sich vor allem auf die Person des Messechefs. Die Stadt hatte nicht vergessen, dass Müller vier Jahre zuvor aus Berlin weggegangen war. Er galt fortan als sprunghaft, auch Größenwahn wurde ihm vorgeworfen. Müller selbst sagt, der Weggang aus Berlin sei nötig geworden, weil der Platz im Spandauer Kabelwerk zu knapp geworden sei. Barcelona schien die wirtschaftlich klügere Alternative. Außerdem sei es nie ein Komplettumzug gewesen. „Die Zentrale war immer hier“, betont er.

Dass die Bread and Butter wieder nach Berlin zurück zog, begründet Müller mit dem Heimweh von Mitarbeitern, die mehrere Wochen im Jahr fernab der Familien arbeiten mussten. Und auch er habe wieder einen festen Standort haben wollen: „In meiner Wahlheimat fühle ich mich am wohlsten und beruflich am sichersten: Hier höre ich die Flöhe niesen, in Barcelona war ich nicht so nah dran.“ In Berlin werde er noch Jahre bleiben, sagt er. „Der Ruf, die New Capital of Casual zu sein, wird Berlin lange bleiben“, sagt er – genau wie Paris Couture-Stadt und Mailand „Designed-Men-Stadt“ bleibe.

Trotz des Marketingsprechs hört man Müller gerne zu. Etwa bei seinen Ausführungen über die stetige „Vercasualisierung“ der Mode in den letzten 50 Jahren. Müller weiß, wovon er redet, wenn er beschreibt, wie die von mutigen Importeuren eingeführten Levis-Jeans auf der Kölner Herrenmodewoche erst belächelt – und dann viel gekauft wurden. Wie aus der Schlips-und Kragenmesse die Interjeans wurde. Und Jeans, T-Shirt und Turnschuhe zum umsatzstärksten Geschäft der Modebranche.

Es ist sein eigener Aufstieg, den Müller erzählt. Seine erste Jeans bekam Müller mit 14 von der Oma geschenkt – zum Ärger seines Vaters. Der Bergarbeiter regte sich über die „Nietenhose“ des Sohnes genauso auf wie über die langen Haare, den Bundeswehr-Parka und die Beatles-Musik. Nach einer Ausbildung zum Feinkost-Einzelhandelskaufmann im saarländischen Dillingen wandte sich Müller der Mode zu – zumindest der kaufmännischen Seite. Er arbeitete als Vertreter für Jeansmarken, stieg zum Geschäftsführer auf und machte sich in Köln mit einem Laden selbstständig.

2001 gründete Müller, inzwischen Großhändler, die Bread and Butter, die 2003 nach Berlin zog. Müller kannte die noch neue Hauptstadt an der Spree bereits von seinen Reisen als Handelsvertreter einer Sportswear-Marke. In den 80er Jahren war er von München aus im Kombi über die Transitstrecke geholpert, um seine Kleidung in Westberlin feilzubieten. Oft mit erstaunlichem Erfolg – in Schöneberg wurde Müller damals Sachen los, die im Rest der Republik als unverkäuflich galten. „Weit vorne“, sagt Müller im Rückblick, und dass Berlin damals zu Unrecht als modische Enklave und Stadt des fehlenden Modebewusstseins galt.

Modediaspora Berlin?

Als die Bekleidungsmesse Igedo in den 90ern versuchte, sich in Berlin zu etablieren, zogen sie ohne Erfolg wieder ab. Und schimpften über die Berliner. „Dafür, dass die ihren Job schlecht gemacht haben, konnte der Standort nichts.“ Auch dem Bread-and-Butter-Gründer schallten vor dem Umzug an die Spree die Unkenrufe von der Modediaspora Berlin voraus. „Alle sagten mir damals ein schnelles Ende voraus“, sagt Müller und grinst. Er glaubte an sich. Der Name Bread and Butter, der an Müllers Anfänge im Lebensmittelverkauf erinnerte, blieb – und wurde zur Marke.

Auch sonst beruft sich der Geschäftsmann immer wieder gern auf seinen biografischen Hintergrund. Um zu illustrieren, wie wichtig ihm Qualität ist, zitiert er gern seine Oma: „Nimm lieber Qualität, denn Billiges ist am Ende immer zu teuer“, habe ihm die alte Dame mit auf den Weg gegeben. Dass sich der Selfmademan aus dem Saarland an diesen Rat gehalten hat, beweisen nicht nur die ausgesuchten Modemarken in seinem Sportswear-Laden am Hackeschen Markt und an den Messeständen. Für die Bread and Butter führte diese Strategie zum Erfolg: Die Besucherzahlen stiegen von 15.000 im Jahr 2003 auf knapp 80.000 Anfang 2009. Seit Juli vergangenen Jahres veröffentlicht die Messe keine Besucherzahlen mehr. Müllers offizielle Begründung: „Besucherrekorde tun nichts zur Sache.“ Auch zum Umsatz macht die Messe keine Angaben.

Für die Zukunft wünscht er sich eine stärkere Publikumsöffnung seiner Fachmesse. Die werde, klagt Müller, von der Berliner Bevölkerung als „Ufo“ wahrgenommen. Mit dem Public Viewing für alle auf dem Rollfeld wurde es dieses Jahr zwar nichts. Aber zum zehnjährigen Geburtstag der Bread and Butter nächstes Jahr plant er „etwas Großes, auch für alle“. Und jeder darf anziehen, was er will.