„Die Invasion will die öffentliche Meinung in Palästina umstimmen“

Der israelische Nahost-Historiker Eyal Zisser hält den Einmarsch in den Gaza-Streifen insgesamt für nötig. Wenn weiter Kassam-Raketen flögen, nutze die Anerkennung Israels nichts

taz: Prof. Zisser, halten Sie die jüngsten militärischen Maßnahmen Israels für sinnvoll?

Eyal Zisser: Israel hat ein Problem: Nichts tun angesichts der Entführung des israelischen Soldaten Gilad Schalit ist nicht möglich – und zwar nicht nur, weil die öffentliche Meinung das kaum tragen würde. Sondern auch, weil es für Israel bedeutet, nie wieder aus besetzten Gebieten, wie beim Gaza-Streifen vor einigen Monaten vorgemacht, abziehen zu können. Die jetzige militärische Invasion zielte darauf ab, die palästinensische öffentliche Meinung umzustimmen, was vorläufig nicht gelingt. Mit den Verhaftungen wurde eine veränderte Ausgangsbasis für mögliche Verhandlungen geschaffen.

Will man die verhafteten Hamas-Politiker gegen den entführten Soldaten tauschen?

Das ist durchaus möglich. Die Realitäten bieten uns keine Ideallösung. Die Verhafteten müssen als Faustpfand herhalten.

Angesichts der jetzigen Krise wirkt der damalige Abzug aus dem Gaza-Streifen als ein Misserfolg. Was bedeutet dies für den Plan von Premierminister Ehud Olmert, aus Teilen des Westjordanlandes abzuziehen?

Olmert hat keine echten Alternativen. Am besten wäre es, auf der Basis der „Roadmap“, des internationalen Friedensplans, vorzugehen, aber das geht nicht. Die Hamas-Regierung ist nicht dazu bereit und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas nicht in der Lage. Sein Vorschlag, gleich zur Endstatus-Lösung zu schreiten, ist derzeit illusorisch.

Muss Olmert neu planen?

Im Moment würde Israels Bevölkerung einen weiteren Abzug aus Teilen des Westjordanlandes nicht unterstützen. Schon gar nicht, wenn sie unilateral vorgenommen wird. Olmert muss den Palästinensern eine Gegenleistung abringen, sobald sich die Wogen wieder geglättet haben. Eine Art Interimslösung, die den Abzug ermöglicht und garantiert, dass von dem nicht mehr besetzten Gebiet keine Angriffe auf Israel gestartet werden.

Welche politische Absicht steckt hinter der derzeitigen Militäroperation Israels: der Sturz der Hamas-Regierung?

Gut vorstellbar, dass die israelische Regierung nichts dagegen hätte, wenn das passierte.

Haben die vergangenen Tage nicht auch positive Entwicklungen gebracht? Die Hamas erkennt Israel an.

Die Hamas hat Israel nicht anerkannt. Es geht erst einmal nur um die Gründung Palästinas auf dem Gebiet von 1967. Das ist keine Anerkennung.

Wenn sich die Palästinenser aus Gaza und das Westjordanland beschränken, akzeptieren sie dann nicht de facto Israel?

Okay, aber man muss sich fragen, warum die Palästinenser ausgerechnet jetzt zu einem so folgenschweren Angriff ausziehen? Exil-Hamas-Chef Chaled Maschal hat vermutlich das Kommando gegeben, um zu verhindern, dass sich die Hamas-Regierung zu sehr an Palästinenserpräsident Abbas annähert. Mit allem Respekt vor dem palästinensischen „Gefangenenpapier“, das eine Zwei-Staaten-Lösung andeutet, bleiben doch einige Paragrafen, denen kein vernünftiger Israeli zustimmen wird.

Für die Hamas-Regierung war der Schritt dennoch riesig.

Man kann sagen, Teile der Hamas schlügen eine positive Richtung ein, andere versuchten, das zu unterbinden. Doch was nützt es uns, wenn Israel indirekt anerkannt wird, praktisch aber weiter Kassam-Raketen abgeschossen und Soldaten entführt werden?

Offenbar gibt es zwei Hamas-Bewegungen?

Das Prinzip „good cop“ und „bad cop“ ist nicht realistisch. Entweder Hamas stellt die Regierung und kontrolliert die Lage, oder sie tun es nicht. Wenn Premierminister Ismail Hanija keinen Einfluss auf seine Leute hat, nützt uns seine Unterschrift wenig.

Ist es überhaupt sinnvoll, die Hamas-Führung, die nun mit der Fatah eine Einheitsregierung bilden will, zu schwächen?

Die palästinensische Regierung muss entscheiden, welchen Weg sie einschlägt

Und was käme dann nach der Hamas?

Ich glaube nicht, dass die Regierung stürzt, jedenfalls hoffe ich das sehr. Denn wenn sie stürzt, kommt das Chaos, und das ist schlecht für Israel.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL