URS WÄLTERLIN ÜBER AUSTRALIENS WEITER RIGIDEN KURS GEGEN FLÜCHTLINGE
: Das australische Paradox

Die neue Premierministerin Australiens, Julia Gillard, war einst Mitglied des linken Sozialistischen Forums und wollte Lehrerin werden. Damit ist sie nicht gerade prädestiniert, um Asylsuchenden das Fürchten zu lehren. Und doch tut sie es. Ganz im Ton des früheren konservativen Premierministers John Howard macht sie klar, dass im Lager schmachten muss, wer sich erdreistet, ohne UNO-Papiere in Australien um Asyl zu bitten.

Es wäre nicht fair, Gillard mit dem schamlos rassistischen Howard zu vergleichen – dazu kennt man die Frau nach zwei Wochen im Amt schlicht zu wenig. Und doch haben beide Politiker eines gemeinsam: Sie wissen, wie man das große australische Paradox für sich politisch ausschlachten kann.

Denn obwohl jeder vierte Australier entweder selbst im Ausland geboren ist oder von im Ausland geborenen Eltern abstammt, sind viele Menschen dort grundlegend fremdenfeindlich eingestellt. Obwohl Hunderttausende selbst Flüchtlinge waren und in Australien eine Zuflucht vor Verfolgung und Tod fanden, gibt es einen regelrechten Hass gegen jene, die nicht „Schlange stehen“ wollen – sprich auf einen UNO-Pass warten. Dabei stirbt man in vielen Flüchtlingslagern dieser Welt eher, als das man einen UNO-Flüchtlingshelfer zu Gesicht bekommt. Doch Australiens Medien – im Lande Rupert Murdochs überwiegend Gossenzeitungen – sind stattdessen voll von Berichten über „Pseudoflüchtlinge“, die nur eines wollen: den australischen Lifestyle genießen und nicht dafür bezahlen.

Gillards Appell an das Braune in der australischen Seele ist ein Weg, um Wahlen zu gewinnen. Das jedenfalls hoffen die Progressiven im Land. Denn die Alternative wäre noch schlimmer: Die Konservativen haben angekündigt, im Falle eines Wahlsieges die Flüchtlingsboote einfach ins Meer zurückzuschieben.

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