VOLLBÄRTIGE MUSIKER
: Statement, Zustand oder Accessoire?

Nils Schuhmacher

Der Vollbart hat, mal ganz allgemein gesprochen, nicht gerade gestern sein Comeback gefeiert. Vage erinnert man sich daran, dass doch schon vor mindestens zehn Jahren in Hardcore-Kreisen immer mehr junge Männer mit Vollbärten zum Inventar gehörten – und in Folge auch nicht mehr ganz so jung aussahen.

Seitdem zieht der Bart immer größere Kreise. Und die Uhren gehen in wachsenden Teilen der Musikwelt anders als etwa in der Welt der Politik. Dort nämlich hat es der – übrigens überproportional häufig im Gesicht von Sozialdemokraten ansässige – Bart traditionell (und bis heute) schwer. Man denke nur an Rudolf Scharping, dem sich Helmut Kohl 1994 mit den Slogan „Politik ohne Bart“ entgegenstemmte.

Oder an Kurt Beck, dem 2010 von seiner Herausfordererin Julia Klöckner mit der Parole – genau: „Politik ohne Bart“ – fast eine krachende Niederlage beschert worden wäre. Oder an Matthias Platzeck, der kein Glück hatte und den SPD-Parteivorsitz schnell wieder abgeben musste. Demgegenüber im erfolgreich arbeitenden aktuellen Hamburger Senat: kein Bart, allenfalls nachlässig Rasierte.

Während der Vollbart in der Politik also vorrangig ein Stigma zu sein scheint, muss er in der Musik unter drei anderen Begriffen behandelt werden: Statement, Zustand und Accessoire.

In der genannten ersten Welle ließ sich das Barttragen, Stichwort: Statement, noch relativ genau im Spannungsfeld von Männlichkeitskonzeptionen verorten, die so gegensätzlich ausfielen, dass es letztlich vor Hybridität und Uneindeutigkeit nur so schepperte im Karton. Einerseits empfindsam, gefühlig, verletzlich, zart, melancholisch (also: depressiv), andererseits, rau, nicht nur weich, sondern auch stachelig (= verletzend). So wollte man sein. Manch eine/r mag in diesem Zusammenhang auch an die proletarische Männlichkeitstradition gedacht haben. Es war aber wohl doch eher der Naturbursche, der hier an die Oberfläche der urbanen Kultur geschwemmt wurde.

Sehr deutlich ein Zustand ist das Vollbarttragen hingegen bei den niederländischen Dead Neanderthals, die Free Jazz in größter Dringlichkeit und nicht geringer Lautstärke auf der Klaviatur von Death Metal ausbuchstabieren. Das Duo besteht aus zwei sehr vollbärtigen Herren, erwähnenswert erscheint aber vor allem, dass das Bandlogo die zwei Köpfe der Protagonisten zeigt, die sich mit Hilfe ihrer Bärte ineinander verschlingen. Weshalb der Verweis hier erlaubt sei – auch wenn das Konzert bereits am Freitag stattgefunden hat.

Nicht ganz an dieses doch sehr geschlossene Bild kommen da die – nur mehrheitlich mit Bart ausgestatteten – fünfköpfigen Owls by Nature aus dem kanadischen Edmonton. Die Verknüpfung von halbakustischem Folk, „viel hemdsärmeligem Rock- und Punkethos“ und viel Bier ist aber einschlägig – und lässt glatte Gesichter eigentlich nicht zu (21. 1., 19.30, Kulturhaus III&70).

Auch bei Yalta Club ist der Bart mehr ein harmloser Alltagszustand, in dem sich alle männlichen Angehörigen der sechsköpfigen Band befinden. Irgendwo zwischen Americana und 60er-Gitarrenpop verbindet dieses instrumentenreiche französische Kollektiv sonnenreiche Stimmung mit freundlich-sarkastischen Alltagsbeobachtungen (21. 1., 19 Uhr, Prinzenbar).

Und schließlich ein schönes Beispiel für den Bart als Accessoire: Die Franzosen La Femme sind in ihrer Heimat bereits eine etwas bekanntere Adresse. Recht untypisch für französische Bands wird hier, ausgehend von Surf-Pop, eine recht umfangreiche Ansammlung verschiedener Wave-Traditionen (von No-Wave bis Neo-Psychedelic) präsentiert. Und die etwa vier Herren, die sich um Sängerin Clémence Quélennec gruppieren? Sie präsentieren sich mal in eleganter Tracht und mit kunstvoll geschnittenen Bärten, als seien sie frisch aus dem Herrn von Eden-Katalog entsprungen, mal glattrasiert und geföhnt wie beim Duran-Duran-Ähnlichkeitswettbewerb. Also je nach Bedarf sozusagen (11. 1., 19.30 Uhr, Kulturhaus III&70).

Und, zum Schluss, der Musikant der Woche, Andreas Dorau, dessen 50. Geburtstag am kommenden Samstag im Knust gefeiert wird? Der war nie „mit Bart“, vermutlich wächst ihm nicht mal einer. Aber: Er hat eine Platte so genannt. So geht es natürlich auch.