Neu- und Wiederaufbau
: Erstaunlich aktuelle Debatte

Die Debatte über den Wiederaufbau des Hamburger Michels – geführt vor 100 Jahren – wirkt erstaunlich zeitgemäß: Die Frage, ob historische Gebäude rekonstruiert werden sollen, ist höchst aktuell und wird überall in der Republik diskutiert. Erst kürzlich ist in Braunschweig das Richtfest für ein Einkaufszentrum mit der Fassade des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Welfenschlosses gefeiert worden. Derlei Talmi hätten die Diskutanten von 1907 wohl mit Verachtung gestraft.

Kommentarvon GERNOT KNÖDLER

Durch die Verluste im Krieg und den zum Teil rücksichtslosen Wiederaufbau ist das Bewusstsein für den Wert historischer Architektur geschärft worden. Der Nachkriegsstädtebau mit seinen Verkehrsschneisen und Hochhaussiedlungen hat dazu geführt, dass man sich manchmal wünscht, es würden wieder Gründerzeithäuser gebaut. In den Großstädten kämpfen Initiativen um jedes alte Haus.

Die heutigen Entwürfe mit ihren Vorbildern am jeweiligen Ort zu vergleichen, könnte so manche aktuelle Diskussion befruchten. Froh jedenfalls ist man darüber, dass die Hamburger ein Ausnahme-Bauwerk wie es der Michel ist, nicht vollends abgerissen haben. Sonst stünde dort womöglich eine Kirche im Stil des wuchtig-trutzigen Hamburger Bismarck-Denkmals, das der Dresdener Professor Karl Woermann einst als Vorbild empfahl.

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