Spitze Klöppeln für die Hippiegemeinde

Kokain im Hirn? Ach was, Devendra Banhart war bei seinem Konzert im Postbahnhof ein charmanter Entertainer und herrlicher Jesusfreakdarsteller

Was hatte man alles über die Bärte gehört und gelesen im Vorfeld! Quer wachsende Ohrenbärte, überhaupt allerlei Haarmonstrositäten – und dann kommen sie doch ganz manierlich auf die Bühne: Devendra Banhart mit schönen schwarzen Jesuslocken und einem recht normalen Vollbart, eine leichte Kajalbemalung um Augen und Wangenknochen. Dazu ein pietistischer Bußprediger mit strengem Zopf, der Schlagzeuger fast kurzhaarig und die Musikerin an Mikro und Sampler hennabemalt. Leider wird fortan im Sitzen musiziert, sodass die Zuschauer ab der dritten Reihe nur auf Zehenspitzen einen Blick auf die freakige Combo erhaschen können.

Dabei gibt es so viel zu sehen, verkörpert Devendra Banhart doch zwei Johnny-Depp-Rollen gleichzeitig. Er ist der verkommene Pirat aus „Fluch der Karibik“, dessen Körpersprache ja wiederum nach der Vorlage Keith Richards choreografiert wurde; und er zelebriert die altertümlich-höfischen Gesten des Don Juan de Marco, verströmt dessen, wenn nicht direkt schmierige, dann doch ölige Freundlichkeit.

Herrliche Manierismen hat sich der Weltbürger aus Venezuela, Mexiko, New York und Südfrankreich da zugelegt. Wie er spricht und gurrt, unwillkürliche Pausen macht, stets mit dem überlegen-wissenden Lächeln des grundsätzlich Erleuchteten- ein herrlicher Jesusfreakdarsteller. Die ersten akustischen, flamencohaften Songs singt er auf Spanisch, und es sind sehr viele Spanisch sprechende Menschen in dem kleinen Raum im Postbahnhof. Sie singen mit, rufen ihm Liebesbezeugungen und Komplimente zu, die er wiederum liebenswürdig dankend erwidert.

Sehr schöne Miniaturen werden da hingelegt, „I feel like a child“ vom aktuellen Album „Cripple Crow“, aber auch Songs der drei älteren Alben. „She is a Special girl“ singt ein ironisch-schiefer Basschor-Kanon, das Anti-Kriegs-Lied „I don’t wanna kill!“ hingegen ist ganz unironisch schön und trotzdem überhaupt nicht kitschig. Möwengeschrei kommt vom Sampler, die Musiker untermalen mit hingehauchten Aaahs und Ooohs die Melodien, selten waren zwei Akustikgitarren und ein Schlagzeug so wenig langweilig.

Wer sein allerliebstes Lieblingslied vorspielen möchte, fragt Banhart irgendwann ins Publikum. Natürlich hebt sich eine Hand. Oh nein, fleht man da innerlich, bitte nicht! Aber es hilft nichts: Ein gewisser Paco trägt seinen Folksong zur Gitarre vor. Das eigentlich schöne Lied nutzt sich bald ab, aber das Publikum klatscht begeistert, und natürlich, natürlich wird Paco auch ein zweites Stück spielen, natürlich den alten Lagerfeuer-Hannes-Wader-Klassiker „Cocaine all around my brain“. Herr Banhart und seine Musiker klöppeln im Hintergrund an Schlagzeug und Perkussion, ganz die friedliche Hippiegemeinde.

Nach Pacos Abgang wechselt die Band mit E-Gitarre und Bass in die elektrifizierte Gangart. Alles klingt eine Spur härter und die verstaubten Junggreise mit Zopf und Leinenschlaghose im Publikum drehen sich verzückt im Kreise. Die Zeit verfliegt, man lauscht der Musik, bleibt aber seltsam unberührt und geht doch reich an neuen Erkenntnissen aus dem Konzert. So machte es zum einen schon Sinn, wie sich die Jugendbewegungen historisch ablösten; der Hippiehass im frühen Punk war mehr als gerechtfertigt. Außerdem sollten sich junge Männer, die noch lang genug echt alt aussehen werden, nicht schon in jungen Jahren als Greise stylen. Und der wirklich charismatische, skurrile, mit einer außergewöhnlichen Stimme gesegnete Devendra Banhart? Wird vielleicht tendenziell doch ein wenig überbewertet.

CHRISTIANE RÖSINGER