Die gewaltigen Wunder von Azeroth

Abenteuerliche Reisen auf dem PC: als Zwerg Hartschaedel durch endlose Labyrinthe aus Kellern, Katakomben und Kavernen. Dann auf dem Rücken eines Greifen von Stormwind nach Darnassus, der Heimstatt der Nachtelfen. Die dazu nötigen Silberlinge werden mit dem Lösen von Aufgaben verdient

von Kay Sokolowsky

Es heißt, Ironforge sei nicht nur eine Stadt, sondern ein Wunder, ja das größte Wunder von Azeroth und sowieso der einzige Ort, an dem ein Zwerg es sich richtig gut gehen lassen kann. Gewaltige Höhlen, von vielen Generationen aus den Bergmassiven des Dun Morogh geschlagen, sanft erhellt vom Gefunkel zahlloser Edelsteine – ein sicherer Hort vor Ogern und Orcs, vor Untoten und anderen Ungeheuern. König Magni Bronzebeard regiert seine kurzbeinigen Untertanen ebenso maßvoll wie mutig, und die kunstreichen Arbeiten der Schmiede von Ironforge sind berühmt und begehrt bei allen Völkern der Allianz.

Aber dieses endlose Labyrinth aus Kellern, Katakomben und Kavernen, in dem auch Alteingesessene sich immer wieder verlaufen, ist eher ein Paradies für Bergleute als für einen jungen Krieger wie mich, Hartschaedel. Hin und wieder taucht eine lebende Leiche in der Stadt auf oder ein hungriger Riesenskorpion, doch wer wirklich was erleben will, der muss hinaus in die Welt der dürren Langbeiner und die anderen, vielleicht nicht ganz so bedeutenden Wunder von Azeroth besuchen.

Um an das nötige Reisegeld für die Greifenflüge zu gelangen, lasse ich mich von Leutnant Rotimer, einem Offizier der Allianz-Armee, für eine „Quest“ im Alteractal anwerben: Einige Trolle und der berüchtigte Frostwolfklan treiben dort ihr Unwesen, und ich soll helfen, sie in die barbarischen Lande von Kalindor zurückzujagen.

Kein Brunnen in Ironforge ist so tief wie dieser Himmel hoch. Weit, weit über mir kreischt ein Greif, der aus Stormwind oder Darnassus kommt. Doch als das gewaltige Tor der Zwergenstadt kaum tausend Schritte hinter mir liegt, sorgt ein Rudel von Hyänen dafür, den Blick wieder auf den Boden zu heften und meiner Streitaxt frische Scharten hinzuzufügen.

Im Tal von Alterac sammelt die Axt weitere Scharten, diesmal an Trollnacken. Ohne Aeglos, den Menschenpaladin, würde meine erste Reise hier bereits enden. Denn ein Orc rammt während des Gefechts seine beindicke Keule in meinen Lederhelm, und ich denke: Hartschaedels Schädel ist wohl doch nicht so hart. Dann denke ich: Wieso denk ich denn noch? Das habe ich Aeglos zu verdanken – als erfahrener Paladin versteht er sich auf die Kunst der Wiederbelebung. „Für Anfänger immer gern“, ruft er mir zu, und ich bekomme große Lust, diesen silbergerüsteten Lackaffen unterhalb der Waffengürtellinie mit der Axt zu bearbeiten: Wenn schon beleidigen, dann bitte auf Augenhöhe! Doch eine unsichtbare Macht verhindert bereits den Versuch. Später erzählt mir eine altgediente Erfindergnomin namens Livi, die Götter des Blizzard hätten es eingerichtet, dass Waffengefährten einander nur beschimpfen, nie aber in zwei Teile hacken dürfen. Nun denn: Ich war schon früher kein frommer Zwerg; und das wird sich jetzt erst recht nicht ändern.

Der Feldzug von Alterac endet mit einem großen Sieg der Allianz-Truppen, und wir werden reich belohnt – mit kostbaren Rüstungen, Waffen und einem ordentlichen Batzen Gold. Zurück in Ironforge reicht es dennoch nicht für ein Flugticket. Also buche ich eine Fahrt mit der Tiefenbahn nach Stormwind, der legendären Hauptstadt der Menschen. Meilen über Meilen geht es unter der schrundigen Erde von Azeroth durch enge Stollen dahin, und fast so groß wie mein Staunen über dieses Meisterwerk gnomischer Technik ist meine Verwunderung, dass die Wände des Tiefenbahnwagens blitzblank sind und nicht etwa mit seltsamen Schriftzeichen und obszönen Bildnissen bedeckt. Ehe ich mich weiter um dieses Rätsel kümmern kann, ist der Zug in Stormwind angekommen.

Viel halten sich die Menschen auf die Künste ihrer Steinmetze und Tischler zugute. Ich halte es freilich für eine größere Kunst, ein Haus aus Stein herauszuhauen als mit Steinen aufzuschichten. Allein die Kathedrale des Lichts flößt auch einem stolzen Zwergen Respekt ein: Silbrig schimmernd erhebt sie sich im Zentrum von Stormwind, und ihre nadeldünnen Turmspitzen scheinen den hohen, unfassbar hohen Himmel selbst durchbohren zu wollen.

Zu Füßen des gewaltigen Bauwerks wimmelt es wie in einem Fledermausnest: Händler, Soldaten, Magier, Handwerker, Jäger und Tagediebe aus allen Ecken von Azeroth. Ich sah schon in Ironforge Menschen und Gnome; doch nun begegnen mir zum ersten Mal Nachtelfen, die sagenumwobenen Bewohner des Teldrassil-Tals. Ihre Augen leuchten gelb wie die von Grubenkatzen, und ihre langen, gleichsam gläsernen Gestalten sind angetan mit spinnwebgrauen Gewändern. Man mag kaum glauben, dass die Anführer der Brennenden Legion kein anderes Volk von Azeroth mehr fürchteten als diese schwächlichen Wesen. Es reizt mich, die Zauberkräfte eines Nachtelfen mit meiner Axt auf die Probe zu stellen, erneut jedoch fallen mir die Götter des Blizzard in den Arm: Ich darf einfach nicht zuschlagen. Dabei weiß doch jedes Kind in Ironforge, dass abgetrennte Gliedmaßen einem Nachtelfen sofort wieder nachwachsen!

Nach einigen kostspieligen Tagen in den Gassen, Geschäften und Gaststätten von Stormwind ist die Geldbörse wieder gähnend leer. Um meine Reise fortsetzen zu können, nehme ich erneut eine „Quest“ an: Thelwater, ein Stadtwächter, verspricht mir 40 Silberlinge, wenn ich ihm helfe, einen Aufruhr im örtlichen Gefängnis niederzuringen. Die Götter des Blizzard, versichert er mir, haben dort nichts zu melden. Gut zu wissen.

Mehrere Axtscharten später ist auch diese Aufgabe erledigt. Bei einem ordentlichen Umtrunk (der hier in Stormwind „Chat“ genannt wird) lerne ich Ruviad kennen, eine stattliche Zwergin, die mit ihren langen Fingern nicht nur als Diebin wahres Hexenwerk vollbringt. Behauptet sie jedenfalls – denn ehe sie den Beweis vollbringt, erklärt sie, nun wolle ihr Mann „an den Rechner“, und verschwindet. Es dürfte in der Tat leichter sein, einen Orc ohne Mundgeruch zu finden, als die Worte einer Frau zu verstehen.

Am Morgen erlege ich beim örtlichen Fluglotsen das horrende Entgelt für einen Greifenritt von Stormwind nach Darnassus, der Heimstatt der Nachtelfen. Greife, diese gewaltigen Wesen, halb Löwe, halb Adler, sind zwar die erhabensten, aber nicht unbedingt die gemütlichsten Reittiere: Ihre Federn stechen wie Dornen durch die Hosen, und ihre Schreie sind greller als der Lärm in einer Kupfermine. Doch wie einerlei ist das, als wir endlich in die blaue Luft, diesen unendlichen Himmel aufsteigen! Unter uns breiten sich die smaragdenen Hügel und Wälder von Elwynn und Ashenvale aus; mächtige Flüsse durchschneiden sie wie Silberadern. Als wir die verbotenen Sümpfe des Elends überqueren, sehe ich Krieger wie mich selbst, verstrickt in wilde Kämpfe mit den Monstren der Wildnis. Ich entdecke Krokolisken, Skorpide, Schleimmonster und gelegentlich sogar die schrecklichen Elementare; und ich weiß: Nach Darnassus werden neue Abenteuer auf mich warten.

Sofern die Götter des Blizzard mir und meiner Axt nicht im Weg stehen.