Himmel, Hölle, Fegefeuer

Alle nur denkbaren Varianten von Liebesentzug: Mit seinem Film „Wie in der Hölle“ hat der bosnische Regisseur Danis Tanović den Mittelteil einer Filmtrilogie verwirklicht, die Krzysztof Kieslowski noch kurz vor seinem Tod 1996 mit seinem Drehbuchautor Krzysztof Piesiewicz ausgearbeitet hatte

von DIETMAR KAMMERER

Ein sorgfältiges Arrangement aus Eifersucht, Verdacht und Begehren: Sophie (Emannuelle Béart), die vermutet, dass ihr Mann sie betrügt, ist diesem bis in ein vornehmes Hotel gefolgt. Ein Gang führt spiralförmig zu den einzelnen Zimmern. Lauschend geht Sophie von Tür zu Tür, zögerlich und entschlossen zugleich. Dann hört sie, wie in einem der Zimmer eine Frau zu einem gewaltigen Orgasmus kommt. Zitternd bricht sie nieder, reißt sich dann zusammen, hämmert gegen die Tür. Ein eher korpulenter Mann mit Ansatz zum Haarausfall öffnet ihr. Es ist nicht ihr Ehemann. „Was gibt's? – Oh pardon.“ Falsche Tür. Entschuldigung. Darin also bestand das ganze Geheimnis: Guter Sex findet zwischen nicht so gut aussehenden Menschen statt.

Wir dürfen vermuten, dass diese Szene so nicht im Originaldrehbuch von Krzysztof Kieslowski vorgesehen war, sondern von Regisseur Denis Tanović erst nachträglich eingefügt wurde, denn für den Rest des Films gilt ihre simple Erkenntnis sozusagen nur in Abwesenheit. Dann sehen alle Beteiligten fantastisch gut aus, sind irgendwie erfolgreich, rezitieren Liebesgedichte in Cafés, besuchen Philosophievorlesungen an der Sorbonne, arbeiten in der Modebranche und wohnen in gepflegten Pariser Appartements. Da so viel Glück aber nicht ohne die entsprechende Portion Leiden auskommen darf, versuchen sämtliche Protagonisten sich selbst, ihren Partnern und sogar Menschen, die sie überhaupt nicht kennen, das Leben so unerträglich wie nur möglich zu machen. Vornehmlich geschieht das in allen denkbaren Varianten des Liebesentzugs. Anne (Marie Gillain) ist ihrem Professor verfallen, aber der um einiges ältere Mann will raus aus der heimlichen Affäre, will sich nicht länger verstellen müssen vor seiner Frau und seiner Tochter, die mit Anne befreundet ist. Aus Céline (Karin Viard) ist eine alte Jungfer geworden, die sich hauptsächlich um ihre gefühlskalte und an den Rollstuhl gefesselte Mutter kümmert. Einmal pro Woche fährt sie mit der Bahn ins Altersheim und übersieht jedes Mal den bis über beide Ohren in sie verknallten Schaffner. Irgendwann erfährt man, dass die beiden Sophies Schwestern sind und dass es in ihrer Kindheit ein traumatisches Ereignis gegeben haben muss, bei dem der Vater zu Tode kam und über das alle ein so gründliches Schweigen bewahren, dass sie den Kontakt zueinander abgebrochen haben. Die Auseinandersetzung zwischen Sophie und ihrem Mann droht zudem die Vergangenheit zu wiederholen. Kurz vor seinem Tod 1996 hatte der polnische Regisseur Kieslowski mit seinem Drehbuchautor Krzysztof Piesiewicz noch die Pläne zu einer Trilogie über Himmel, Hölle und Fegefeuer vollendet. Tom Tykwer verfilmte vor sechs Jahren mit „Heaven“ das erste der drei Drehbücher, der bosnische Regisseur Denis Tanović („No Man's Land“) hat nun Teil zwei übernommen.

Er belädt die Vorlage, die bereits schwer an metaphysischen Fragestellungen über Zufall, Schicksal und der Möglichkeit zur Tragödie in moderner Zeit zu knabbern hat, zusätzlich mit dem Ballast einer maßlos stilisierten Inszenierung. Hinter der Eleganz der Oberfläche, einer vorzüglichen Starbesetzung und einer betont elliptischen Erzählweise verbergen sich letztendlich aber dürftige Klischees: Der Geschlechterkrieg spinnt sich ewig fort, Männer betrügen aus Schwäche, und Frauen sind grausam, wenn sie gekränkt werden. Ähnlich simpel gestrickt ist das Farbschema des Films: Rot steht für Leidenschaft, Blau für Melancholie, Grün für die Hoffnung. „Je ne regrette rien“ lautet der finale Satz des Films: In dieser Hölle ist das Leben ein Chanson in eleganter Ausstattung.

„Wie in der Hölle“, Regie: Danis Tanović. Mit Emmanuelle Béart, Marie Gillain, Karin Viard u. a., F 2005, 102 Min.