„Spannende Unterhaltung“ in der Eifel

KRIMI Der Skandal um die „Erlebniswelt Nürburgring“ kostete schon Politiker den Job. Jetzt nimmt sich ein Roman des Themas an – und verfehlt es

■ Der Nürburgring ist eine Rennstrecke auf dem Gebiet der Verbandsgemeinde Adenau (Rheinland-Pfalz) in der Eifel, die am 18. Juni 1927 eingeweiht wurde. Die ursprünglich insgesamt bis etwa 28 Kilometer lange legendäre „Gebirgs-, Renn- und Prüfungsstrecke“ war in ihrer Urform bis 1982 in Betrieb. Im Zuge des Projekts „Nürburgring 2009“ wurde ab 2007 in rund zweijähriger Bauzeit ein großes Freizeitzentrum („Erlebnispark“) mit Achterbahn, Einkaufszentrum, Kneipenviertel, Hotel und Feriendorf in unmittelbarer Nähe der Rennstrecke errichtet. Das Projekt sollte ursprünglich komplett privat finanziert werden, als Berater wurden die Macher des gescheiterten Space Park Bremen engagiert. Bei der Suche nach Investoren wurden dubiose Finanzvermittler beauftragt; u. a. wurde zum Beweis der Liquidität des Bundeslandes Rheinland-Pfalz eine Summe von 95 Millionen Euro nach Liechtenstein überwiesen. Weil kein Investor gefunden wurde, wurde die gesamte Investition zumindest vorläufig aus Steuergeldern finanziert und mit dem Bau begonnen. In die Kritik geriet Landesfinanzminister Ingolf Deubel (SPD), weil die Finanzierung des Ausbaus über hochspekulative Fonds, Liechtensteiner Konten und unbekannte Geschäftspartner in Dubai stattfinden sollte. Am 7. Juli 2009 trat Deubel aufgrund der Kritik am Geschäftsgebaren eines Schweizer Vermittlers bei der Privatfinanzierung des geplanten Freizeitzentrums Nürburgring 2009 zurück. Zudem war bei dem kritisch berichtenden Journalisten Wilhelm Hahne eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden.

VON HELMUT HÖGE

Bei den meisten Krimiautoren, die sich um authentische Atmos und Dialoge bemühen, kommt mindestens einmal der Ausdruck „nicht wirklich“ vor. Er bezeichnete einmal etwas Irreales, nicht Existierendes, jetzt ist es ein Geschmacksurteil beziehungsweise eine -verirrung, etwa auf die Frage: War das Buch gut? „Nicht wirklich.“ Dem gegenüber stehen dann „wirklich gute Bücher“.

„War es Ute Lemper oder Désirée Nosbusch? Eine unserer heimatvertriebenen Broadway-Heroinen jedenfalls muss dieses neudeutsch-amerikanische ‚Nicht wirklich‘ in unsere Talkshows eingeschleppt haben“, meint die Zeit und vermutet, es „könnte die lakonische Formel für ein verbreitetes Lebensgefühl sein in einer virtuellen Welt. Für cooles Einverständnis mit einem System verkaufsfördernder Täuschungen und Selbsttäuschungen.“

Zu diesem ganzen Komplex erschien soeben ein neuer Roman – von Jacques Berndorf: in seiner Reihe „Eifel-Krimis“. Der dort lebende Journalist gehört zu den erfolgreichsten deutschen „Regionalkrimi“-Autoren. Ein in den Achtzigerjahren aufgekommenes Genre, das inzwischen Anschluss an das touristische Standortmarketing fast aller deutschen Gebietskörperschaften gefunden hat. Dadurch dass zwischen dem einen und dem anderen Mord die Landschaft und die Sehenswürdigkeiten der jeweiligen Region geschildert werden, bietet diese „Fiction“ neben „spannender Unterhaltung“ auch noch „reale Orientierung“ in einer bis dahin unbekannten Urlaubsregion, zugleich aber auch für die Einheimischen ein Wiedererkennen und -finden. Der Krimiautor Berndorf, „Eifelliteratur-Preisträger 1996“, veranstaltet sogar Gruppenführungen zu seinen „Tatorten“. 2007 wurde ihm vom Ministerpräsidenten Kurt Beck der Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz verliehen.

Der ehemalige Gerichtsreporter Jacques Berndorf heißt eigentlich Michael Preute, aber Krimiautoren schreiben oft unter Pseudonym, das resultiert noch aus Zeiten, da Autoren der Hochliteratur heimlich und unter falschem Namen (triviale) Pornos publizierten. Berndorfs Ermittler in der Eifel heißt „Siggi Baumeister“ und ist gleich ihm Journalist und Pfeifenraucher. Wikipedia listet inzwischen 20 „Eifel-Krimis um Siggi Baumeister“ auf. Der letzte wurde soeben in der Mainzer Staatskanzlei vorgestellt – vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten persönlich. Er kommt darin nicht nur selbst vor, wenn auch ebenfalls nur unter Pseudonym, es geht darin auch um sein „aus dem Ruder gelaufenes“ 330-Millionen-„Baby“ namens „Erlebniswelt am Nürburgring“ – eine „Affäre“, die bereits dem SPD-Finanzminister Ingolf Deubel das Amt kostete.

In dieser Hinsicht kann der Krimiautor Berndorf den „Krimi-Fan“ Kurt Beck mit seinem neuesten Krimi „Die Nürburg-Papiere“ jedoch beruhigen: Sein Siggi Baumeister erfährt darin, dass der Skandal dem Ministerpräsidenten beim Wahlvolk kaum schaden werde. Beck selbst sagte auf der Buchvorstellungspressekonferenz in der Mainzer Staatskanzlei, dass das gerade vorgelegte Gutachten des Landesrechnungshofs zum teuer gescheiterten Projekt „Erlebniswelt am Nürburgring“ nichts Neues und somit auch – im Gegensatz zum neuen Eifel-Krimi von Jacques Berndorf – nichts Spannendes enthalte, obwohl dieser darin auch bloß das Gutachten des Landesrechnungshof verarbeitet hatte. Ein Zitat daraus stellte er seinem Roman als Motto voran: „Berater waren beauftragt, die Gesellschaft für Beratungen mit anderen Beratern zu beraten.“

Der Nürburgring ist ein 1927 mit ABM-Kräften durch den Wald geschlagenes „Gottesgeschenk“

Den Eifel-Autor interessierte schon lange dieses 1927 mit ABM-Kräften durch den Wald geschlagene „Gottesgeschenk“ für die damals noch grottenarmen Eifler. So erwähnt er bereits in seinem Krimi „Eifel-Schnee“, in dem es um die Versorgung der dortigen Jugend mit Rauschgift geht, dass er, das heißt Siggi Baumeister, eines Abends beim Wirt des Restaurants Periferia in Adenau einkehrte – und dass der ihm „die letzten Neuigkeiten vom Nürburgring“ erzählte, „jene Neuigkeiten, die in keiner Zeitung stehen“. Zu dem Zeitpunkt – 1996 – gab es noch nicht einmal einen Plan für die „Erlebniswelt Nürburgring“.

In seinem neuen Krimi nun, „Die Nürburg-Papiere“, hat Berndorf, für den die bereits geschassten sowie die immer noch weiter am (unfertigen) „Ring“ Geld verpulvernden Planer und Berater im Grunde alles „Wahnsinnige“ sind, aus ihren komplizierten Finanztransaktionen kurzerhand Leichen gemacht: Morde. Dadurch hat er dieses Eifel-Projekt aber eigentlich deregionalisiert, denn Tote gab es dort bisher nur auf der Rennstrecke, wie ein gerade ausgestrahlter WDR-Film über den Nürburgring-Skandal: „Schnelle Geschäfte in der Grünen Hölle“ zeigt.

Für die FAZ, die ausführlich über die Buchvorstellung in der Staatskanzlei berichtete, bestand denn auch der wahre Eifel-Krimi gleich aus dem 100 Seiten starken Gutachten zur „Nürburgring-Finanzaffäre“, das zu einem „vernichtenden Urteil über das Verhalten der Landesregierung und der von ihr kontrollierten Nürburgring GmbH“ gekommen war. Dabei unterstellte sie dem „Landesvater“, er sei „offenbar nicht der Ansicht, dass es zwischen Realität und Fiktion einen Unterschied geben sollte“ – um sodann selbst das Landesrechnungshofgutachten für ihre Leser krimimäßig zusammenzufassen. Das fiel ihr um so leichter, als darin mehrere Dossiers des BKA eingearbeitet wurden – unter anderem über die „Geschäftsleute“ Merten und Böhm, die im Auftrag der Nürburgring GmbH für eine private Finanzierung des Projekts „Erlebniswelt am Nürburgring“ sorgen sollten. Merten hatte zuvor beim Zirkus gearbeitet, Böhms beruflicher Hintergrund blieb dem BKA unbekannt. Die beiden brachten nach kurzer Anlaufphase eine Firma namens „Pinebek“ ins Spiel, die ein „nicht seriöses und undurchsichtiges Sale-and-Lease-back-Verfahren“ vorschlug, das zwar nicht zustande kam, aber dennoch dem Steuerzahler 1,21 Millionen Euro kostete: so viel bekamen die zwei „Selfmademen“ nämlich als Honorar.

Als nächstes kam es zu einer Zusammenarbeit mit einem „Schweizer Finanzvermittler“ namens Urs Barandun, die der Bundesrechnungshof ebenfalls als „äußerst negativ“ beurteilte, denn der verlangte erst einmal und sofort 95 Millionen Euro auf ein Liechtensteiner Konto, damit ein „US-Milliardär“ namens Dupont das Nürburgring-Projekt finanziere: „Zwar floss das Steuergeld mit einem Verlust für Bankgebühren von rund 170.000 Euro nach Mainz zurück, nachdem sich der Dupont-Scheck als Schwindel erwiesen hatte“, doch „das Risiko“ war weitaus größer, als Kurt Beck und sein Aufsichtsrat bei der Nürburgring GmbH behaupteten.

Die Eifel ist ein friedlicher, fast langweiliger Landstrich. Tote gab es dort bisher nur auf der Rennstrecke

Hinzu käme noch, dass der inzwischen ebenfalls geschasste Geschäftsführer der Nürburgring GmbH, Walter Kafitz, am Aufsichtsrat vorbei „mit dem Bau des inzwischen 330 Millionen Euro teuren Projekts“ begann – ohne dass die Finanzierung (weder privat noch durch eine Landesbeteiligung) gesichert war.

Das ist alles in allem natürlich kein schlechter Plot, aber im Vergleich mit den Eifel-Krimis fällt er stark ab: Es fehlen schlicht die Leichen, die Berndorf (wie auch die meisten anderen Krimiautoren) noch jedes Mal in großzügigster Weise über ihre Region verstreuen. Die alle nasenlang fiktiv Dahingemordeten halten sozusagen das überregionale Leseinteresse wach – und nicht die noch häufigeren Realia à la „Wir fuhren über Kerpen, Niederehe, Hyroth und Brück Richtung Kelberg und wendeten uns dann nach links auf die Schnellstraße nach Adenau“, wo sie wie oben erwähnt in diese reale und laut Berndorf „wunderbare“ Kneipe einfielen.

Eine ältere Frau, die seine Eifelkrimis wegen der schönen Landschaftsschilderungen schätzte, riet ihm, die schrecklichen Verbrechen zwischendrin einfach wegzulassen.