Solidarität ist kein Luxus

I LOVE EU? taz.lab 2014: ein Forum für Debatten und Impulse nicht allein für Europäisches

VON JAN FEDDERSEN

Europa gilt in Medienkreisen als Killerthema. Mit europäischen Themen wird keine Auflage gemacht, die Organisation der Aufmerksamkeitsökonomie gebietet es, Ausländisches überhaupt dosiert zu behandeln, Nationales gehe immer vor. Nur: Brüssel ist längst die Hauptstadt der Europäischen Union – und ein Gros von Entscheidungen, die dort getroffen werden, haben in den Mitgliedsländern der EU Geltung. Das Europa, das von Brüssel aus bestimmt wird, ist längst inländisch geworden – dass spiegelt sich atmosphärisch jedoch in den nationalen Gesellschaften nicht sehr stark.

Entsprechend fällt das europagesinnte Prunksprechen aus. Kommt man auf die EU zu sprechen, ist rasch vom Projekt die Rede, das, als Gegenentwurf zum historischen Verlauf des 20. Jahrhunderts, eines des Friedens, der Abwesenheit von Kriegen sein soll. Davon abgesehen, dass diese Perspektive etwa in Bosnien & Herzegowina der frühen Neunzigerjahre nicht geteilt wird, weil das satte Europa der EU dort Krieg und Morden nicht selbst verhindern wollte: Das Europa jenseits der Brüsseler Beschlüsse existiert allenthalben, und es lebt mächtig.

Europa oder EU? Sind das zugleich nicht zwei paar Schuhe? Sind durch Brüsseler Beschlüsse nicht die Grenzen zu den europäischen Territorien so scharf es irgend geht gezogen worden? Europa ist natürlich mehr – zumal bei diesem taz-Kongress am 12. April im Berliner Haus der Kulturen der Welt – als die Europäische Union. Es umfasst nicht allein viele der einst sowjetischen Staaten, sondern auch, abgesehen von Slowenien und Kroatien, jene des früheren Jugoslawien sowie Albanien. Und die Türkei, nicht zuletzt das ökonomisch prosperierende Land des Nicht-EU-Territoriums in Europa.

Zu Europa gehört faktisch aber auch das, was man als Afrika versteht: Für Hunderttausende von Menschen, die südlich des Mittelmeers leben, ist die EU eine Verheißung, eine Ziel der Sehnsucht. Jobs, bessere Lebensverhältnisse, jedenfalls gemessen an jenen, aus denen sie fliehen. Von ihren Wanderschaften, von ihrem Kampf ums Ankommen und um Anerkennung wird auf dem taz.lab ebenso die Rede sein.

Kein Zufall mag in diesem Kontext sein, dass die Frauen und Männer, teilweise mit ihren Kindern, die über das Mittelmeer in Europa anlanden wollen, nicht nach Europa wollen, sondern eben in ein Land der EU.

Das taz.lab 2014 wird sich mit einer Fülle von AktivistInnen, ExpertInnen und KünstlerInnen mit diesen Fragen beschäftigen: Was kann die EU sein? Muss man die Staatenunion kritisieren – überhaupt, oder weil sie immer noch nur wie ein Bündel an Einzelstaaten funktioniert, mit einem Parlament, das nicht die Macht hat, die Regierungschefs der mächtigen Länder – Merkel, Hollande, Cameron – zu überstimmen.

Was es wert scheint, auf dem taz.lab thematisiert zu werden, ist vielleicht dies: Gibt es in den jüngeren Generationen schon ein europäisches Bewusstsein? Wie stark ist die Gefahr, dass es zu einer Renaissance nationalistischer Tendenzen kommt – nicht allein in Gestalt der verschiedenen Rechtspopulismen, sondern auch durch Länder wie Ungarn, wo eine konservativ-rechte Regierung herrscht, die auf Minderheitenschutz, auf Menschenrechte, auf demokratisches Miteinander im europäischen Sinne nichts gibt? Nicht zuletzt die deutsche Regierungspartei aus Bayern, die CSU, artikuliert in diesen Tagen eine Politik der Ressentiments – gegen Bulgaren, Rumänen, gegen Ausländer schlechthin. Dies mitgedacht kommt man auf die Parias europäischer Integration: die Roma. Was nützen alle Brüsseler Schmuckreden zum Friedenskontinent Europa, wenn die EU nicht in der Lage ist, eine offensive Politik zur Nichtdiskriminierung jener Menschen zu etablieren, die man früher abfällig Zigeuner nannte?

Und: Kann die EU als Supraorganisation den Klimawandel entscheidend mit verhindern? Kann eine bessere, ökologische Energiepolitik lanciert werden?

„Solidarität ist machbar“? Klar. Ist es etwa nicht richtig, dass es für alle Miseren Alternativen gibt – und Solidarität, gerade in der seit fünf Jahren in Südeuropa wütenden Finanzkrise – nötig sein muss? Nicht allein dieses Befunds wegen: Europa ist das spannendste Thema überhaupt.

Das sehen Sie anders? Schreiben Sie an tazlab@taz.de