Das kaputte Knie wird abgewertet

Plan zum Umbau auch der Berufs-Unfallversicherung liegt vor: Voraussichtlich bekommen Schwerbehinderte eher mehr, leichter Geschädigte eher weniger Geld. Träger halten Einsparziel von 20 Prozent bei der Verwaltung für illusorisch

VON ULRIKE WINKELMANN

Die große Koalition will auch die Unfallversicherung umbauen. Ziel ist erstens, die Träger dieser Versicherung zu Fusionen und dadurch zu Verwaltungs-Einsparungen zu zwingen. Zweitens sollen die Leistungen für die im Beruf Geschädigten umstrukturiert und passgenauer werden.

Dies geht aus dem Eckpunktepapier hervor, das die Sozial-Staatssekretäre von Bund und Ländern am Donnerstagnachmittag größtenteils abgesegnet haben. Franz Münteferings (SPD) Bundessozialministerium soll nun übers Wochenende letzte kleine Änderungen anbringen, damit das Papier kommende Woche an die betroffenen Verbände geschickt werden kann.

Der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der gewerblichen Berufsgenossenschaften, Joachim Breuer, sagte gestern zur taz, voraussichtlich komme es „bei schweren Schädigungen zu höheren, bei geringen Schädigungen zu eher niedrigeren Leistungen“. Es sei noch nicht abzusehen, ob Renten und Entschädigungen insgesamt schrumpfen oder nicht. Denn die Rente für Unfallgeschädigte richtet sich künftig danach, wie viel die Geschädigten trotz der Verletzungen verdienen. Tendenziell wird die Entschädigungsgrenze für kleinere Verletzungen – etwa den Dauer-Meniskusschaden am Knie – höher gelegt.

Die berufliche Unfallversicherung ist das – etwas unbekanntere – „fünfte“ Bein im Sozialversicherungsgefüge neben Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung. Sie deckt Arbeits- und Wegeunfälle ab, aber auch Berufskrankheiten – soweit sie als solche anerkannt werden.

Die (Berufs-)Unfallversicherung wird nicht wie die anderen Sozialversicherungen hälftig von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sondern ausschließlich von den Arbeitgebern finanziert. Diese klagen seit Jahren darüber, dass trotz sinkender Unfallrisiken im Beruf die Ausgaben kaum schrumpfen. Zuletzt – im Jahr 2005 – ist der Beitragssatz allerdings von durchschnittlich 1,35 auf 1,31 Prozent der Löhne gefallen. Das Volumen der Umlage sank so auf 8,8 Milliarden Euro. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag festgelegt, zur Reform der Unfallversicherung im Jahr 2007 ein Gesetz zu erlassen. Die Veröffentlichung der Eckpunkte war eigentlich erst für diesen Herbst vorgesehen, erklärte das Bundessozialministerium gestern und schwieg sich ansonsten aus.

Den größten Wunsch haben Bund und Länder den Arbeitgeberverbänden mit den Eckpunkten nicht erfüllt: Die Wegeunfälle bleiben Teil der Versicherung und werden nicht den Arbeitnehmern oder den Krankenkassen aufgebürdet. Berufsgenossenschaftler Breuer erklärte gestern außerdem das Sparziel bei den Verwaltungskosten von zwanzig Prozent für „illusorisch.“ Die Idee, die 26 Träger der gewerblichen Unfallversicherer zu 6 zusammenzufassen und so die Arbeitgeber mit ganz unterschiedlichen Risiken zur Solidarität zu zwingen, werde noch für Ärger sorgen. Wer will schon mit dem Bergbau, der das höchste Unfallrisiko trägt und 7,5 Prozent Beiträge verlangt, in eine Versicherung?

Interessanterweise haben Arbeitgeber, Bund und Länder einmütig die Idee verworfen, die Unfallversicherung zu privatisieren. Gleich zu Beginn des Eckpunktepapiers steht die Begründung: Wer glaube, private Unternehmen hätten die billigere Verwaltung, „berücksichtigt nicht, dass Kostenvorteile durch die Entnahme der Gewinne für die Eigentümer sowie die Ausgaben für notwendige Werbung wieder aufgezehrt würden“. Ob sich die Beteiligten daran erinnern, wenn sie bei Gesundheit oder Pflege die nächste Privatisierung zulasten der Arbeitnehmer und Rentner beschließen?