SPD sucht den Anti-Rüttgers

Ein Jahr Opposition – aber immer noch kein Oppositionsführer. Die Sozialdemokraten suchen Gegenspieler zu Ministerpräsident Rüttgers. Großstädter und Genossen vom Land streiten sich

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

Manfred Güllner hat ein Problem. Fragt man den Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa nach der Popularität von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), muss er passen. „Es gibt keinen Vergleich“, sagt er. Normalerweise befrage sein Institut die Wähler danach, wen sie am liebsten als Regierungschef hätten – den Amtsinhaber oder seinen Herausforderer. In Nordrhein-Westfalen funktioniert das zur Zeit jedoch nicht: „Die SPD hat keinen Herausforderer. Es gibt keine Nummer 1“, sagt Güllner.

Die Landespolitik verabschiedet sich in die Sommerpause – und viele SPD-Politiker rätseln vor dem Aufbruch in die Ferien, wer eigentlich der sozialdemokratische Oppositionsführer ist. Wer tritt an, sollte die Regierung Rüttgers zwischen Bretagne-Urlaub und Haushalt 2007 plötzlich und unerwartet kollabieren? Wer ist das Gesicht der SPD? Landeschef Jochen Dieckmann oder die Fraktionsvorsitzende im Landtag, Hannelore Kraft? „Natürlich beschäftigt uns die Frage, wer einmal der Herausforderer von Rüttgers sein wird“, sagt ein Genosse aus dem Landesvorstand. Hinter den Kulissen werde diskutiert, wie und wann man einen „Anti-Rüttgers“ ausrufe.

Verlief das Nebeneinander der beiden Ober-Sozialdemokraten Kraft und Dieckmann zunächst noch recht problemlos, so sorgt die ungeklärte Führungsfrage mittlerweile für Irritationen. Gut ein Jahr nach der NRW-Wahlpleite häufen sich Missverständnisse und Verdächtigungen: „Es gibt einige, die klüngeln. So was konnte man früher bei den Jusos machen, in einer Landespartei darf so etwas nicht passieren“, sagt der Kölner SPD-Chef Jochen Ott.

Die Konfliktlinien sind vielfältig: Unter anderem beharken sich Rheinländer und Ruhrgebietler, Großstädter und Genossen vom platten Land. In der traditionell starken Revier-SPD wird gern über die „Treckerfahrerfraktion“ in Düsseldorf gelästert. Nur das komplizierte NRW-Wahlsystem habe dazu geführt, dass viele Provinzpolitiker über die Landesliste ins Parlament gerutscht seien. Zu viele, für den Geschmack der Ruhrgebietler. Nun schart man sich fast trotzig um die aus Mülheim stammende Fraktionschefin Kraft und bildet einen inoffiziellen Ruhr-Block.

Einige Rheinländer warnen hingegen bereits vor einem Bedeutungsverlust der Fläche. „Johannes Rau hat immer dafür gekämpft, dass die Regionen in NRW gegenüber dem Revier nicht zu kurz kommen. Wir müssen da ein wenig aufpassen, damit das so bleibt“, sagt der Kölner Ott. Zudem müsse bei der Finanzierung der Kreisverbände darauf geachtet werden, dass Geld und Einfluss sich nicht in der Landeshauptstadt konzentrierten.

Ungeklärt ist auch die Aufgabenverteilung zwischen Partei und Fraktion. Nicht selten kommt es vor, dass sich Parteichef Dieckmann und die Fachpolitiker aus dem Parlament scheinbar unkoordiniert zu denselben Themen äußern. Nachdem der Ex-Finanzminister beim letzten Landesparteitag in Bochum nur eine kurze Rede gehalten und auch sonst eher nach innen gewirkt hatte, äußert er sich jetzt häufiger zu tagesaktuellen Themen. Nicht ganz freiwillig, wie ein Mitglied des NRW-Vorstands sagt. Man habe „den Jochen ermuntert, lauter zu werden“, heißt es. „Die Partei muss den Anspruch haben, Themen selbst zu setzen.“

In den Reihen der Partei wiederum wird laut über die fehlende Schlagkraft der Fraktionsspitze um Hannelore Kraft nachgedacht. So wird kolportiert, dass die Zahl von Krafts Stellvertretern von bisher sieben auf nur noch vier reduziert werden solle – um einheitlicher auftreten zu können. „Ende des Jahres werden wir turnusmäßig die Fraktionsspitze neu wählen“, sagt Fraktionssprecher Thomas Breustedt. Noch besser solle die Arbeit werden, konkrete Pläne gebe es aber nicht.

Die Fraktion mache einen guten Job, sagt Landesvorstandsmitglied Michelle Schumann. „Aber es reicht nicht, nur gegen etwas zu sein.“ Auf die Schwächen der schwarz-gelben Landesregierung müsse die SPD mit eigenen Gegenkonzepten antworten, sagt die Politikerin aus Herne. „Gegen die Privatisierungspolitik müssen wir realistische Pläne für einen bürgerfreundlichen Staat präsentieren“, sagt Schumann.

„Die Schwäche der NRW-SPD nützt Rüttgers“, sagt der Meinungsforscher Güllner. Nach 39 Regierungsjahren tue sich die SPD naturgemäß schwer, eine kraftvolle Opposition zu sein. Der Kölner SPD-Chef Ott sieht das anders: „Jochen Dieckmann, Hannelore Kraft, vielleicht Bärbel Dieckmann – es ist gut, dass wir in NRW verschiedene Player haben, die antreten können“, sagt er. „Beim Personal geht es uns besser als der Bundes-SPD.“