Mit der nötigen Dosis Queerness

FASHIONISTA-POP Die Band Yacht gegen ein verlorenes Halbfinale in der Sommernacht vom Mittwoch – das war keine leichte Aufgabe im Magnet Club

Prince für Leute, die noch nie etwas von John Waters gehört haben

Das hatten sie nicht verdient. Auf den Straßen der Stadt herrschte noch blankes Entsetzen, die Uhr rückte langsam gen Mitternacht vor, der Laden war staubtrocken und so leer, dass selbst im Raucherraum die Aschenbecher fehlten. Es war an Bobby Birdman aus Los Angeles, den Abend, die Nacht zu eröffnen. Ein verstreutes Völkchen sammelte sich allmählich vor der Bühne des Magnet Clubs am Mittwochabend. Richtig, dem Abend nach dem Spiel. Die Band Yacht und ihre Konzertagentur waren immerhin so schlau, auf dieses Ereignis zu reagieren. Erst mit sehr später Bühnenzeit, dann mit warmen Worten und dem Powerpoint-Gimmick eines verbrennenden Fußballs.

Aber bleiben wir noch bei Bobby Birdman. Birdman heißt eigentlich Rob Kieswetter und ist ein Crooner, der zu ekstatischer Dosenmusik und Schlagzeug eine Mischung aus Elvis, Dave Gahan und George Michael gibt; so mit Tolle und überhaupt diesen Haaren; ein Frauen- und vermutlich auch Männermagnet, der solo schon erstaunlich viele und genauso erstaunlich unbekannt gebliebene Platten veröffentlicht hat. Discopop in neu. Wham! aus dem Untergrund. Mit Jeffrey Jerusalem, eigentlich Jeffrey Brodsky am Schlagzeug schaffte er es, die perfekte Vorband zu bilden: gut, erfreulich, passend zum Hauptact, aber anders; charmant, bestimmt, nah. Ein perfektes kleines Warm-up samt Fehlern und Publikumseinbindung.

Und später tauchten beide wieder auf der Bühne auf – tatsächlich bildeten sie die Rhythmusfraktion der Band Yacht. Yacht stammen aus Portland, Oregon, und bestehen im Wesentlichen aus Jona Bechtolt, einem Nerd und Derwisch, der an eine Figur aus Teeniefilmen der Achtziger erinnerte, nur dass er auf der Bühne keine Brille trägt – so Typus Schlaumeier eben, dabei gilt Bechtolt als Schulabbrecher. Und Claire L. Evans, Discoqueen, Annie-Lennox-Tochter, Punk, Chanteuse. Den etwas frickeligen Discosound auf dem vermeintlichen Debüt (Yacht hatten schon vorher einige Veröffentlichungen) „I Believe in You. You‘re Magic is Real“ von 2007 haben sie mittlerweile in eine zeitgemäße Form von tanzbarer Popmusik mit der nötigen Dosis Queerness und Camp verwandelt. Das aktuelle Album „See Mystery Lights“, im letzten Jahr auf dem angesagten Dance-Label DFA erschienen, ist schicker Bohemia-Pop, zu dem beschwingt gebügelt, im Büro abgetanzt oder Geschlechtsverkehr ausgeübt werden kann. Musik für Fashionistas und Radiokinder gleichermaßen. Prince für Leute, die noch nie etwas von John Waters gehört haben. Prince für Menschen, die noch keine 4 vorn in ihrer Alterszahl haben. Ein entsprechendes Symbol haben Yacht im Übrigen auch.

Live kommt das Ganze angemessen aufgedreht daher, verliert sich aber manchmal zu sehr im dunklen Raum. Yacht gegen ein verlorenes Halbfinale in einer Sommernacht an einem Mittwoch – keine leichte Aufgabe. Allen Fashionweekfreudigen und Exilamerikanern zum Trotz. Auch hätte man der Band einen besseren Sound gewünscht – das Schlagzeug klang müllig, der Bass zu leise, Claire Evans fand erst spät den rechten Ausdruck, und bei der Zugabe fiel auch noch ein Kompressor aus. Fast gut war es trotzdem, was an den schön schwingenden Diskobassläufen von Birdmann lag, an der Überdrehtheit, dem Humor, und eben den drei, vier guten Popsongs, die Yacht im Set hatten. „The Afterlife“ und besonders „Psychic City“ seien genannt.

Zwischendurch gab es ein wenig Unterhaltung, eine Einführung in die Meditation, ein bisschen Powerpoint-Präsentation und noch mehr hingelaberter Schnickschnack. Unter Musikern sehr beliebt scheint die Rubrik „Fragen aus dem Publikum?“ zu sein. Auf die Frage, ob und wer denn nächsten Samstag ein Date hätte aus der Band, reagierten Bechtolt und Evans allerdings mit Schüchternheit und einem Blickaustausch. Der Einzige, der tatsächlich ein Date zu haben schien, war natürlich Bobby Birdman.

„Everybody wants to go to heaven, nobody wants to die.“ Nach einer Zugabe ging es zurück in die Nacht nach dem Halbfinale. Am Ende blieb aber der Eindruck, ein bisschen Trost im hedonistischen Spaß gefunden zu haben. Damit kehrte allmählich auch das Leben zurück – im Raucherraum wurde geraucht, auf den Straßen Berlins standen die Menschen, tranken und sprachen über das, was war. Und siehe, es war gut. RENÉ HAMANN