„Die kaufen nichts, die wühlen bloß rum“

Verkäufer sind von den langen Öffnungszeiten bis 22 Uhr angeödet: „Das Schlimmste ist, wenn man nichts zu tun hat.“ Ein Testshopping am Samstagabend ergab: Nur bei Karstadt-Sport & Spiel stehen Schlangen an der Kasse

Samstagabend, 20 Uhr. Es ist eigentlich Bettgehzeit für alle Schulkinder, aber in der Innenstadt haben viele Läden noch 120 Minuten auf. Bei „Karstadt Spiel & Sport“ direkt am Hauptbahnhof brummt der Laden, an den Kassen stehen lange Schlangen. Kein Wunder: Wer hier shoppt, verpasst nichts, das suggerieren schon die großen Flachbildschirme, auf denen es gleich Brasilien gegen Frankreich zu sehen gibt.

Altfußballstar Pelé stürmt die Gangway zu Kerners Plattform in der ZDF-WM-Arena und beginnt als Überraschungsgag zu singen. Die Zuschauer in Kerners Studio tragen verrückte Perücken und Kappen, die es hier im Laden trögeweise zu kaufen gibt. Die WM, so scheint es, ist hier zu Hause.

Schon deutlich leerer ist es bei „Galeria Kaufhof“ gegenüber. „Tschüss, ich hab morgen frei“, verabschiedet sich eine Verkäuferin am Schmuckstand im Erdgeschoss von ihrer Kollegin. „Morgen“ ist Sonntag und „frei“ ist seit WM-Beginn für die Verkäufer in der City keine Selbstverständlichkeit.

In der Spielzeugetage im 5. Stock spielt ein Vater mit seinem Sohn Kicker, geht dann aber, als seine müde dreinblickende Frau mit den Einkaufstüten kommt. Auch hier gibt es originelle WM-Gimmicks, aber Ballack, Klose und Podolski im Barbie-Format bleiben unbestaunt. Ein paar Regale weiter quengelt ein Kleinkind im Buggy. Die Mutter schaut schuldbewusst auf, will ihm Schuhe anprobieren. Eine Familie mit drei Kindern campiert vor dem Kinderkino, aber kauft nichts.

An den Kassen stehen die MitarbeiterInnen und haben nichts zu tun. „Es ist gleich neun. Ich geh mal ein paar Kunden erschrecken“, scherzt eine von ihnen. „Wieso, schließen Sie schon?“ „Na, 21 Uhr langt ja wohl.“ Also nichts wie ab, die Rolltreppen wieder runter. „Verehrte Kunden, ein weiterer schöner Shoppingtag in Galeria Kaufhof geht zu Ende“, ertönt eine euphorische Männerstimme aus dem Lautsprecher.

Auf der Mönckebergstraße ist noch Leben, die Straßen-Cafés sind gefüllt. Eisschleckende Passanten gucken die Schaufenster an. „Rrrtsch“, lässt eine kleine Boutique das Rollgitter runter. „Wir haben es bis neun Uhr versucht, aber das lohnt sich nicht“, sagt die Verkäuferin. „Die Leute wühlen nur alles durcheinander und kaufen nichts.“

Noch lange nicht zu Ende ist der Tag bei C&A. „Wir gehen in die Verlängerung“, wirbt die Textilkette am Eingang für die Öffnungszeit bis 24 Uhr. Hier wählen ein paar Damen in Ruhe eine Bluse aus, lassen dabei auch schon mal eine vom Bügel rutschen. „Ich arbeite gern spät, weil es dann ruhiger ist“, sagt eine junge Verkäuferin. Die vielen Kunden am Tag hinterließen in den Kabinen so viel Unordnung, da käme sie „kaum hinterher“. Dreimal die Woche habe sie die Spätschicht, zweimal die normale am Tag. Es sei aber gut, dass die WM jetzt zu Ende geht. „Schließlich muss man auch mal wieder Freunde treffen.“ Auch sei es nicht leicht, nach der Arbeit gleich einzuschlafen, „da schwirrt einem noch so viel im Kopf“. Ob es draußen noch so warm ist, will sie wissen.

Nicht so stickig wie im Kaufhaus jedenfalls. Es dämmert. H&M hat noch auf, Schuh-Haus Görtz geschlossen. Das große Karstadthaus an der Mönckebergstraße hat wegen Umbauarbeiten nur einen provisorischen Nebeneingang. „Komm, wir gehen jetzt Schuhe kaufen“, sagt eine Oma um 21 Uhr 40 zu ihrem vielleicht fünfjährigen Enkel.

An den Schminkständen im Foyer sind die eleganten Verkäufer unter sich. Auch im ersten Stock bei Schmuck, Textilien und Lebensmitteln sind kaum Kunden. Auch hier quakt ein Kind. Lohnt sich die längere Öffnungszeit? „Nicht wirklich“, sagt eine Kassiererin. „Das Schlimmste ist, wenn nichts zu tun ist, dann geht die Zeit nicht vorbei.“ Ein Verkäufer sagt: „Das war schon um sechs so leer. Rumstehen ist das Anstrengendste.“ Er schiebt wie alle seine Kollegen freiwillig die Spätschicht. Man müsse geöffnet haben, weil die „Mitbewerber in der City“ es ja auch täten und nach der Krise vom Vorjahr alle besorgt um ihre Arbeitsplätze seien. „Aber so“, er zeigt in den Raum, „treiben wir uns erst recht in den Ruin.“ Kaija Kutter