Freude an der Verwandlung

Post aus Peking: Sie beschließt, erwachsen zu werden, und plötzlich ändert sich alles im Leben der zukünftigen Sprachlehrerin – und sie zu beschenken ist schwierig geworden

Meine kleine Übersetzerin und zukünftige Sprachlehrerin ist einen Meter fünfzig groß und wiegt kaum mehr als vierzig Kilo. Sie nennt sich für Ausländer Jean und beschloss, meine Freundin zu werden, als ich versuchte, sie grundsätzlich mit vollständigem chinesischem Vor- und Nachnamen „Liu Xiang“ anzusprechen – das ist hier so Sitte, wenn die Vornamen einsilbig sind, weil einsilbige Worte in chinesischen Ohren eher ruppig klingen.

Als ich Liu Xiang vor zwei Jahren kennen lernte, hatte sie noch wenig Geld. Sie war mit meiner mageren Bezahlung zufrieden und ließ sich nach jedem Interview, das ich mit ihrer Hilfe führte, zum Essen einladen und danach das Taxi spendieren. Sie war noch Studentin an der Peking-Universität und lebte auf dem Campus, in einem Schlafsaal mit Estrichfußboden, drei Doppelbetten und einem winzigen Schreibtisch, den sie sich mit einer Kommilitonin teilte. Sie lernte so hart, wie man lernen muss, um an der ersten Uni des Landes zu studieren, sie hatte selten Zeit für mich und war oft traurig, weil sie ihre Eltern in der weit entfernten Provinz Sichuan nur einmal im Jahr besuchen konnte.

Sie war in der Kommunistischen Partei, glaubte aber, wie sie sagte, nicht an die kommunistische Ideologie. Wenn sie ein Glas Wein trank, dachte sie über den Weltfrieden nach oder über die Umweltverschmutzung in Peking. Sie hatte noch keinen festen Freund und fand vor allem deutsche und schwedische Jungs ganz außergewöhnlich attraktiv.

In diesem Jahr wird Liu Xiang 25 und hat beschlossen, erwachsen zu werden.

Sie schließt gerade ihr zweites Studium ab – irgendwas Interkulturelles – und wird im Herbst ihren Job im Außenministerium antreten. Sie glaubt, ihre Aufgabe wird sein, unwichtige Staatsgäste wie ehemalige amerikanische Präsidenten in Peking herumzuführen. Sie hat jetzt einen sehr schweigsamen Freund, der Jura studiert hat und dem sie, wenn er denn mal was sagt, selten widerspricht. Gerade haben sich die beiden ein Apartment gekauft, vier Zimmer, Küche, Bad, Holzfußboden, Swimmingpool und Fitnessstudio zur freien Benutzung im Haus. Es hat 75.000 Euro gekostet, die Anzahlung haben ihre Eltern übernommen, die Abzahlung beläuft sich auf 400 Euro im Monat – das ist doppelt so viel, wie ungelernte chinesische Arbeiter bei vielen deutschen Firmen in China verdienen. Als ich sie frage, ob sie jetzt, da sie zusammenziehen, auch heiraten, lachen mich die beiden aus. Wir sind hier schließlich in Peking.

Gestern Abend hat mich Liu Xiang zum ersten Mal fein zum Essen ausgeführt. Sie will für ihren Sprachunterricht kein Geld und ich fühle mich schlecht, weil ich ihr das Doppelte des üblichen Preises, also drei Euro die Stunde, zahlen wollte.

Als ich ihr letztes Mal eine westliche Antifaltencreme mitbringen sollte, durfte ich ihr die noch schenken. Die braucht sie übrigens, weil sie glaubt, sie mache die Konturen ihrer geschlitzten Lider weicher. Die teure deutsche Sonnencreme, die ich ihr diesmal brachte, will sie unbedingt selbst bezahlen. Die braucht sie, weil sie vor Arbeitsbeginn im Außenministerium ein vierwöchiges Militärtraining unter freiem Himmel absolvieren muss und weil sie wie jede Chinesin unbedingt leichenblass bleiben will.

Heute wird mir Liu Xiang bei der Wohnungssuche helfen. Weil ich noch immer nicht weiß, wie man in Peking Bus fährt – weder gibt es hier immer Bushaltestellen, noch wird angezeigt, wohin die Busse gehen –, will sie mich bei jedem Besichtigungstermin zum Bus, in den Bus hinein- und aus dem Bus herauslotsen. Ein Taxi kostet durchschnittlich einen Euro fünfzig, ein Busticket höchstens zehn Cent. Liu Xiang ist der Meinung, dass ich Geld sparen muss.

SUSANNE MESSMER