Grüne wollen „ermutigenden Staat“

Hamburg: In ihrer Konferenzreihe blicken die Grünen kritisch auf ihre Themen Grundsicherung und Sozialstaat

HAMBURG taz ■ Die Grünen wollen „raus aus dem 30-Prozent-Turm derer, die darüber nachdenken, tatsächlich grün zu wählen“. So zumindest hat es Parteichef Reinhard Bütikofer auf der Regionalkonferenz der Partei gestern in Hamburg formuliert. Auf dem Programm der Workshops standen die Probleme Armut und Arbeitslosigkeit.

Die Hamburger Regionalkonferenz war die vorletzte von 16 Veranstaltungen, mit denen die Grünen sich ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatten katapultieren wollen. „Machtpolitisch stellen wir im Moment nicht viel dar“, sagte Bütikofer, „aber ideenpolitisch können wir die große Koalition herausfordern.“ Bei einer letzten Regionalkonferenz sollen sich im August die Grünen Mecklenburg-Vorpommerns die Haare raufen. Vom 1. bis 3. September werden die Debatten auf großer Bühne in Berlin zusammengeführt.

Bütikofer forderte seine Parteifreunde auf, die großen Kontroversen zu diskutieren. Dazu gehört für ihn offenbar das Thema „Sozialreformen“. Rot-Grün habe vergessen, Hartz IV und Co. durch „ein makroökonomisches Projekt“ zu begleiten. Die Partei müsse klären, wie ein „ermutigender Sozialstaat“ nach dem Prinzip des „Empowering“, also der Hilfe zur Selbsthilfe, aussehen solle: angelsächsisch, deutsch oder skandinavisch. Bütikofer: „Das Produkt des deutschen Sozialstaates ist heute deutlich schlechter, deutlich weniger gerecht als viele andere europäische Modelle.“

Makroökonomisch habe sich die grüne Bundestagsfraktion ja auf eine „grüne Marktwirtschaft“ verständigt, sagte Fraktionschef Fritz Kuhn. Die Partei müsse aber erst noch suchen, was grün daran sein könne. Ebenfalls müsse diskutiert werden, wie eine künftige Grundsicherung auszusehen habe: wie ein bedingungsloses Grundeinkommen oder wie eine Hilfe auf dem Weg zur Erwerbsarbeit. Er plädiere für eine aktivierende Grundsicherung. Kuhn: „Ich halte das bedingungslose Grundeinkommen für ungerecht, weil es abnehmende Chancen auf einen Zugang zu Erwerbsarbeit für alle bedeutet.“ Alle Ideen zur soziale Gerechtigkeit könnten nur funktionieren, wenn die Wirtschaft hochproduktiv sei.

Dem Bundesvorstand ist es ein Anliegen, die Partei bei ihrer Zukunftsdebatte nicht im eigenen Saft schmoren zu lassen. In Hamburg wurde das dokumentiert durch die Anwesenheit der Partei- und Fraktionschefs der SPD, Matthias Petersen und Michael Neumann, sowie des Ver.di-Landesvorsitzenden Wolfgang Rose. Gedanklich anregen ließen sich die Teilnehmer vom Zukunftsforscher und Ex-Präsidenten der FU Berlin, Rolf Kreibich, der das fatale kurzfristige Denken der Unternehmen kritisierte. Dirk Hauer vom Diakonischen Werk, Mitglied der linken GAL-Abspaltung Regenbogen, illustrierte das Versagen der Sozialpolitik mit der Darstellung der Armut im reichen Hamburg.

Die Hamburger haben es geschafft, ihr zentrales Politikthema, die „Stadt der Zukunft“, auf dem bundesweiten Zukunftskongress unterzubringen. Die GAL stellt sich die Stadt als Ort der Freiräume und der Toleranz vor, als Inkubator neuer Ideen, dessen schöpferische Kraft gefördert werden müsse. Sie beruft sich dabei auf die Arbeiten der US-Wissenschaftler Charles Landry und Richard Florida. Sie stellten fest, dass sich Stadtregionen am besten entwickelten, die mit Hochtechnologie, guter Ausbildung und Toleranz für ungewohnte Lebensformen die meisten Kreativen anziehen konnten.GERNOT KNÖDLER