MITFAHREN IN DER TRAM
: Wir sind die BVG

Kaum will er die erste Münze einwerfen, spricht ihn die Frau an

Als die Straßenbahn Richtung Prenzlauer Berg am Frankfurter Tor hält, habe ich das Geld für das Ticket abgezählt in der Manteltasche und begebe mich schnurstracks zum Automaten. Kaum habe ich den ersten Euro eingeworfen, spricht mich eine freundliche, etwa 60 Jahre alte Frau an, die direkt neben dem Automaten steht und sich an der gelben Stange festhält. „Ich kann Sie auf meinem Fahrschein mitnehmen“, sagt sie und zeigt mir ein Ticket, das ich mir nicht genauer anschaue. „Für einen Euro.“ Die Frau erklärt mir, dass sie bis zu fünf Personen mitnehmen kann. Bisher kannte ich nur die Variante, bereits entwertete Tickets vergünstigt zu erwerben. Freudig überrascht drücke ich die rote C-Taste, gebe der Frau den Euro, den der Automat wieder ausspuckt, setze mich auf einen freien Platz direkt hinter ihr und beobachte das weitere Geschehen.

Am Bersarinplatz wollen zwei junge Frauen Fahrscheine kaufen, die Ticketinhaberin wiederholt ihre Mitfahreinladung. Die beiden reagieren wie ich, freudig überrascht, und die Reisegruppe vergrößert sich auf vier. An der Landsberger Allee Ecke Petersburger Straße steigt ein junger Mann mit Kopfhörern ein. Kaum will er die erste Münze einwerfen, spricht ihn die Frau an. Er nimmt den Kopfhörer ab, und sie trägt noch einmal ihr Angebot vor. „Ja?“, fragt er ungläubig und gibt ihr sogleich einen Euro.

Lange bleibt die Reisegruppe nicht zusammen. Einige Stationen später steigen die beiden jungen Frauen aus – nicht ohne sich vorher sehr freundlich bei der Frau mit dem Ticket bedankt zu haben. Der Mann mit dem Kopfhörer verlässt kurz darauf auch die Tram und klopft der Frau zum Dank auf die Schulter. Als ich an der Husemannstraße aussteige, bedanke ich mich ebenfalls. Seitdem frage ich mich, ob die Buchstaben BVG für „Berlin verdient Geld“ oder „Berlin verliert Geld“ stehen.

BARBARA BOLLWAHN