Müde Scherze mit der Stasi

AUKTORIALER ERZÄHLER Mit pikanter Note: „Kennung“ von Hermann Kant

Die Stasischergen wirken in diesem Roman eher wie die Olsenbande auf Abwegen

VON THOMAS WINKLER

Das darf einen dann schon interessieren. Was hat er zu sagen, der einstmals erste Wortschmied der DDR, der langjährige Vorsitzende ihres Schriftstellerverbandes, das ehemalige ZK-Mitglied, der Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit, was hat so einer zu sagen über ebenjene Staatssicherheit?

Denn Hermann Kant hat einen Roman geschrieben. Er hat ihn „Kennung“ genannt und seine Handlung ins Jahr 1961 platziert, wenige Monate vor den Bau der Berliner Mauer. Im sowjetisch besetzten Teil dieses Berlins lebt der Held, ein Literaturkritiker namens Linus Cord, ein „Staatsbürger, dem die Sicherheit des Staates am reinen Herzen liegt“.

Dass der, als die mit dieser Staatssicherheit betrauten Behörde auf den Plan tritt, sich genötigt fühlt, gleich zweimal aus dem vertrauten Osten in den ihm arg bedrohlich scheinenden Westteil der Stadt zu reisen, scheint nur logisch. Cord tut dies mit öffentlichen Verkehrsmitteln und mit dem Fahrrad, aber immer verfolgt und beobachtet von einem oder gleich mehreren Kundschaftern des Friedens, geplagt allerdings mehr von seinen Gedanken und Fantasien, wie er den Eingriff des Kontrollapparats in sein Leben einzuschätzen habe.

Distanz zur DDR

Viel mehr passiert nicht. Denn „Kennung“ kennt nur ein Thema: den allgegenwärtigen Bespitzelungsapparat des SED-Staates. Dem gibt Kant viele Namen. Mal ist sie die „Arbeiterundbauernmachtdetektei“, mal das „Staatssicherheitsinstitut“ oder „das heikle Haus“, ein „Ministerium für angewandtes Wissen“ oder „ein Instrument der Macht, das sich für die Macht selber halte“. Man sieht: Linus Cord wird eine gewisse Distanz zur DDR zugestanden, die sich sein Erschaffer Kant damals nicht gönnte.

Doch dass die Stasi und ihre Funktionsweise aus Einschüchterung und Informationsanhäufung hier ausgerechnet beschrieben wird von einem der notorischsten Repräsentanten dieses Staates, unter dessen Ägide der Schriftstellerverband gesäubert wurde, das allein ist schlüpfrig. Dass Kant zudem als IM „Martin“ wohl Günter Grass bespitzelt hat, was unlängst enthüllt wurde, aber Kant wiederum bestreitet, das verschafft „Kennung“ eine zusätzliche pikante Note.

Dessen ist sich Kant ganz offensichtlich bewusst. Also lässt er seinen Helden Literaturkritiker stolz sein auf seinen Verriss der „Blechtrommel“ und schickt ihn, in Bewegung gesetzt vom Aufmarsch eines Dreigestirns mit aufsteigenden Stasi-Diensträngen, ausgerechnet die Wehrmachtsauskunftsstelle aufsuchen. Dort, im westlichen Reinickendorf, lagerten damals die 18 Millionen Karteikarten der Deutschen Wehrmacht. Darunter auch jene eines gewissen Günter Grass, in der dessen Mitgliedschaft in der Waffen-SS vermerkt war, die 2006 bekannt wurde.

Seitenhieb auf Grass

„Kennung“ ist also auch ein nicht verhohlener Seitenhieb auf Grass, den, so Kants Lesart, angeblich von ihm Bespitzelten. Bei einem Streitgespräch im Berliner Ensemble im März bescheinigten sich die beiden zuletzt jeweils gegenseitig, den Sozialismus zu Grabe getragen zu haben.

Dabei wäre doch viel interessanter gewesen zu erfahren, wie der Insider Kant glaubte, dass dieser Sozialismus behütet wurde. Doch der spinnt in „Kennung“ lieber ein Märchen, in dem die auftretenden Stasischergen sich in philosophischen Petitessen ergehen, lächerliche Lederhütchen tragen und auch sonst kaum nachrichtendienstlichen Schrecken verbreiten.

Eher wirken sie wie die Olsenbande auf Abwegen, und auch der Auftrag, den auszuführen sie der „Oberste Chef“ losgeschickt hat und den Kant erst kurz vor Schluss enthüllt, weil er den Leser sonst kaum bei der Stange gehalten hätte, wirkt ähnlich ernst zu nehmen wie ein Verbrechen der dänischen Filmkomiker: hat doch die Staatsführung von der Existenz eines sogenannten allwissenden Erzählers erfahren. Aber weil nur die Stasi alles wissen darf, darf es den nicht geben im real existierenden Sozialismus. Also soll der Literaturkritiker Cord so lange verunsichert werden, bis er nicht mehr glaubt ans auktoriale Erzählermodell.

Dieser schale Scherz wäre ja noch erträglich, wenn Kant nicht 250 lange, anstrengende Seiten bräuchte, um zu seiner lauen Pointe zu gelangen. Stilistisch wirkt Kant wie ein Altrocker, dem die Ideen ausgegangen sind, aber die inhaltliche Leere stattdessen per Zusammenarbeit mit einem Orchester zum Popanz aufzublasen versucht. Seine Sätze winden sich wie Girlanden, er wiederholt sich beständig und will wohl mit möglichst umständlichen Formulierungen die Behördensprache des Überwachungsapparats karikieren, aber wird dann doch vor allem Opfer der eigenen Gefallsucht, die sich am Kunsthandwerk berauscht, sich in besinnungslosen Wortspielen und einer gespreizten Sprache austobt.

Wenn der Protagonist mit einer Buchhändlerin flirtet, dann „war eher anbändlerischer Ansatz als buchhändlerischer Anlass zu vermuten“. Und die „Spürhunde“ der Staatssicherheit verunsichern Linus Cord, „indem sie ihn, dem sie auf der Spur waren, unter spürbarem Aufwand spüren ließen, sie spürten ihm nach“.

Diese Ironie, die das ganze Buch durchzieht, wirkt da nur mehr wie der rostige Schutzschild eines Schriftstellers, der sich die eigene Verbitterung nicht eingestehen will. Aus dem einst begnadeten Erzähler Hermann Kant, der immerhin für „Die Aula“ verantwortlich zeichnet, ist ein alter Mann geworden, der über die Vergangenheit, vor allem seine eigene, nicht sprechen will. Das aber mit möglichst vielen Worten.

Das ist die einzige wesentliche Erkenntnis, die „Kennung“ bereithält.

Hermann Kant: „Kennung“. Aufbau Verlag, Berlin 2010, 250 Seiten, 19,95 Euro