„Keine Frage der Schuld“

GESPRÄCH Diskussion über Missverständnisse zur „Deutschen Schuld“ am Nationalsozialismus

■ 55, ist Dirigent, promovierter Musikwissenschaftler und im Vorstand der jüdischen Gemeinde in Bremen.

taz: Herr Pantijelew, an der Shoah sind die Deutschen schuld. Was ist daran missverständlich?

Grigori Pantijelew: Die Tätergeneration mit ihrer Verstrickung und Schuld ist fast schon ausgestorben. Weil sie es versäumt hat, das mit sich selbst zu klären, hat sie die Schuld liebend gern an die Kinder und Enkelkinder übertragen.

Das heißt?

In der Nachwirkung entsteht eine traumatische Folge, die von Alexander und Margarete Mitscherlich bis Dan Bar-On psychoanalytisch untersucht wurde und von den meisten Politikern des Landes noch verstärkt wird.

Aus der Idee, die Vergangenheit „bewältigt“ zu haben, speist sich heute ein neues Nationalgefühl.

Die Vergangenheitsbewältigung hat nicht funktioniert. Aktuelle Umfragen belegen, dass bis zu 70 Prozent der Deutschen mit antisemitischen Vorurteilen gut versorgt sind. Man kann von Verantwortung, aber nicht von Schuld sprechen kann. Die Schuldeinbildung ist ein Phantom. Es wurde nie gesagt, die Deutschen wären schuld, das wurde von den Deutschen erfunden, aus Abwehr, wegen der Scham.

Ich sage: Die Deutschen sind schuld.

Ich bin schuldig, wenn ich den Nachbarn rassistisch beleidige oder Fremdenfeindlichkeit meiner Nachbarn stillschweigend übergehe. Aber für die Vergangenheit Schuld zu sein, ist ein Nonsens, juristisch wie moralisch.

Ist es „Nonsens“, dass etwa deutsche Unternehmen heute erfolgreich sind, weil sie an Krieg, ZwangsarbeiterInnen und „Arisierung“ verdienten?

Götz Ali hat bewiesen: Die Bereicherung der Nation ging um ein Mehrfaches über das hinaus, was die Firmen erwirtschaftet haben. Es ist eine Verstrickung der Nation, dass die Nazizeit und der Krieg so lang dauern konnten. Juristisch gesehen gibt es aber keine Kollektivschuld und keine Übertragung von einer Generation auf die nächste.

Wie kann verhindert werden, dass Auschwitz sich wiederholt, wenn nicht erst die Schuld der Deutschen, der Eltern und Großeltern, anerkannt wird?

Das soll in den Familien geklärt werden. Jedenfalls wird es auf Befehl nicht funktionieren. Es gibt gute Vorbilder, die aber durch die Medien nicht akzeptiert werden.

Was meinen Sie?

Das Buch “Allein unter Deutschen“ von Tuvia Tenenbom handelt vom alltäglichen Antisemitismus. Es wurde erst vom Verlag abgelehnt, dann zensiert und schließlich zerrissen – eine deutliche Abwehrreaktion.

Interview: jpb

20 Uhr, Landeszentrale für politische Bildung, Osterdeich 6