Der Widerspenstigen Zählung

ZENSUS Im Mai 2011 soll eine Volkszählung stattfinden wie in anderen EU-Ländern. Zwei Verfassungsbeschwerden kritisieren das Unterfangen

„Es werden Daten in einem Umfang erhoben, der in dieser Form gar nicht notwendig ist“

Wie viele Menschen in Deutschland leben, weiß niemand genau: Rund 82 Millionen ist die offizielle Bevölkerungszahl. Es könnten laut Statistischem Bundesamt aber auch 1,3 Millionen Menschen weniger sein. Denn die Schätzungen beruhen auf Volkszählungen, die in den Jahren 1981 und 1987 stattgefunden haben – die eine in der DDR, die andere in der BRD.

Je länger die letzten Erhebungen zurückliegen, desto ungenauer würden die statistischen Fortschreibungen, so das Statistische Bundesamt. Deshalb benötige Deutschland im kommenden Jahr dringend eine neue Volkszählung. Die Erhebung, die auf eine EU-Verordnung vom September 2008 zurückgeht, soll im Mai nächsten Jahres gleichzeitig in allen EU-Ländern starten und vergleichbare Ergebnisse liefern.

Dagegen kündigt sich jetzt juristischer Widerstand an. „Es werden Daten in einem Umfang erhoben, der in dieser Form gar nicht notwendig ist“, kritisiert etwa der Jurist Jens Ferner, der bereits Ende Juni gegen den Zensus Verfassungsbeschwerde einlegte. Außerdem werde der Grundsatz, Daten möglichst anonym zu erheben, „umfänglich verletzt“. Denn die detaillierten Daten werden mit einer Ordnungsnummer versehen und vier Jahre lang zentral gespeichert. Der Datenschutzverein FoeBud aus Bielefeld will bis Donnerstag kommender Woche mit einer weiteren Beschwerde nachlegen. Rund 12.000 Menschen zeigten sich mit diesem Vorhaben solidarisch und unterschrieben online.

Im Gegensatz zur letzten Volkszählung 1987 werden dieses Mal jedoch nicht mehr alle deutschen Bürger aufgefordert sein, einen Fragebogen auszufüllen. Stattdessen wird ein „registergestützter Zensus“ durchgeführt. Das soll billiger sein, da hauptsächlich bereits existierende Datenbänke angezapft und Daten zusammengeführt werden. Trotzdem werden die Kosten im deutlich dreistelligen Millionenbereich liegen.

Und bis zu 10 Prozent der Bevölkerung werden auch dieses Mal auf konkrete Fragen antworten müssen, wenn sie kein Bußgeld riskieren wollen. Laut dem Zensusgesetz von 2009 werden in den Fragebögen Informationen zu Alter, Ausbildung, Wohnsituation, nichtehelichen Lebensgemeinschaften, religiösem Bekenntnis oder Migrationshintergrund verlangt.

Weil auch die aktuellen Wohnungszahlen als überhöht angesehen werden, müssen zusätzlich rund 17,8 Millionen Immobilienbesitzer Auskunft geben: zu Größe und Ausstattung der Wohnungen, zu Eigentumsverhältnissen und den Mietern. „Volkszählung war gestern – Zensus ist morgen“, schreibt das Statistische Bundesamt. Mit dieser Formulierung möchte sich die Behörde vermutlich auch vom zurückliegenden, recht verunglückten Versuch einer Volkszählung distanzieren. Hunderttausende Bürgerrechtler boykottierten das Vorhaben in den 80er Jahren und protestierten gegen einen drohenden Überwachungsstaat. SEBASTIAN LOSCHERT

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