: Ein absurder Boykott
ISRAEL Die Kooperation mit dem ganzen Land zu verweigern, ist falsch. Doch wie die EU Institutionen in der Westbank nicht zu unterstützen, ist richtig
■ ist Professor für Psychologie in Tel Aviv und Kolumnist der Zeitung Ha’aretz. Zuletzt erschien an dieser Stelle ein offener Brief an Stephen Hawking als Antwort auf seinen Boykott der Presidential Conference 2013 in Jerusalem.
Um es ganz klar zu sagen: Israel als Ziel eines wissenschaftlichen Boykotts herauszugreifen, wie es die American Studies Association (ASA) kürzlich beschlossen hat, ist intellektuell nicht zu legitimieren und moralisch unhaltbar. Es grenzt ans Absurde, Israel zu boykottieren, ein Land, das trotz aller Fehler eine funktionierende Demokratie ist und die Menschenrechte im Großen und Ganzen achtet, während Regimes nicht boykottiert werden, die Homosexuelle aufhängen, ehebrechende Frauen steinigen und weder wissenschaftliche Freiheit noch Pressefreiheit gewähren.
Auf die Frage, warum die ASA ausgerechnet Israel zur Zielscheibe mache, antwortete ihr Präsident Curtis Merez, irgendwo müsse man schließlich anfangen. Von Wissenschaftlern erwarte ich, intellektuell und moralisch kohärenter argumentieren zu können. Israel ist derzeit nicht in Gefahr, weil die wissenschaftlichen Mainstream-Institutionen der Vereinigten Staaten jede Form des Boykotts gegen Israel noch stets ohne Zögern zurückgewiesen haben. Und wir können ziemlich sicher sein, dass der Boykottaufruf der ASA keine allzu große Resonanz erfahren wird.
Die differenzierte EU-Position
Ich fürchte aber, dass die israelische Rechte diesen absurden Boykott benutzen und ihr übliches Lamento absondern wird, alle Kritik an der israelischen Politik sei antisemitisch motiviert. Eine solche Reaktion wäre genauso dumm wie der Boykott selbst.
Die Europäische Union hat vor Kurzem mit einer anderen Herangehensweise auf die israelische Besatzungspolitik geantwortet. Gemäß ihren neuen Richtlinien darf keine israelische Institution, die sich in der Westbank befindet oder mit dortigen Organisationen und Projekten kooperiert, eine EU-Förderung erhalten. Brüssel sendet so eine klare Nachricht: Israel ist innerhalb der Grenzen von vor 1967 ein legitimer Staat, der im Verhältnis zur EU einen bevorzugten Status genießt und enge ökonomische und wissenschaftliche Beziehungen zur EU beibehalten wird.
Dagegen hat die EU eine eindeutige Position zur Besatzungspolitik. Die Westbank ist kein Teil Israels, sondern besetztes Gebiet. Israel verletzt die Menschenrechte mit der anhaltenden Besetzung, enteignet palästinensisches Land und siedelt Israelis darauf an, was nach der Genfer Konvention verboten ist. Daher boykottiert die EU jede Institution, die sich an der Besetzung beteiligt.
Es ist sehr schwer, die EU-Position als unfair zu attackieren oder als willkürliches Herausgreifen Israels als Boykottziel. Die EU delegitimiert weder die Existenz Israels noch bestreitet sie, dass Israel eine liberale Demokratie ist. Sie ist nur eindeutig, was die Verletzungen des internationalen Rechts durch Israel betrifft, und sie ist zunehmend entschlossen, ihre beträchtlichen Einfluss geltend zu machen, um Druck auf Israel auszuüben, die Besetzung zu beenden. Die israelische Regierung hatte daher auch keine andere Wahl, als die EU-Position zu akzeptieren, um Teil des sogenannten „Horizonts 2020“ zu werden, der größten Forschungsinitiative Brüssels, die für die Zukunft der israelischen Universitäten von entscheidender Bedeutung ist.
Weil Israel eine Demokratie ist
Auch für die Unterstützer Israels in den USA, die immer schnell dabei waren, wenn es gegen wissenschaftliche oder ökonomische Aufrufe zum Boykott Israels ging, dürfte es sehr schwer werden, irgendetwas grundsätzlich Falsches an der EU-Strategie zu finden. Sie bedeutet einfach nur, die Besatzung in keiner Form zu unterstützen.
Natürlich könnte die israelische Rechte immer noch argumentieren, dass die Annektion der Westbank nicht mit den Grausamkeiten, die etwa von Syrien, dem Sudan oder der Demokratischen Republik Kongo begangen werden, verglichen werden kann. Das ist richtig. Israel sollte aber froh sein, dass die zivilisierte Welt Israel an ihren eigenen Maßstäben misst und nicht an solchen, die benutzt werden, um Diktaturen und gescheiterte Staaten zu beurteilen.
Wir wollen Teil der „Horizont-2020“-Initiative sein, derzeit sind wir Teil von CERN (der Europäischen Organisation für Kernforschung), und wir hoffen, dass Israel weiterhin als wertvolles Mitglied der freien Welt gesehen wird. Unser Problem ist, dass die jüngere Generation rechter israelischer Politiker völlig unfähig zu sein scheint, um zu verstehen, wie wichtig es ist, dass Israel als Teil der freien Welt respektiert wird.
Freie Welt, aber wozu?
Ihre Anhänger glauben, dass Israel als Hightech- und Startup-Land existieren kann, ohne in die Netzwerke der Forschungsuniversitäten der freien Welt integriert zu sein, und dass die israelische Medizinforschung ohne internationale Zusammenarbeit florieren kann. Und sie verstehen nicht, dass Teil der freien Welt zu sein bedeutet, ihre zivilisatorischen Normen zu akzeptieren. CARLO STRENGER
Übersetzung aus dem Englischen: Martin Reeh
Anmerkung: Am 16. Dezember beschloss die ASA als bislang größte akademische Institution der USA einen Boykott Israels. In der Erklärung heißt es: „In Erwägung, dass die American Studies Association der sozialen Gerechtigkeit, dem Kampf gegen alle Formen des Rassismus einschließlich des Antisemitismus (…) verpflichtet ist; in Erwägung, dass israelische Institutionen der höheren Bildung Teil der Politik des israelischen Staates sind, die Menschenrechte verletzt und die Arbeitsbedingungen von palästinensischen Lehrenden und Studierenden beeinträchtigt; ist hiermit beschlossen, dass die ASA den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft für einen Boykott israelischer wissenschaftlicher Institutionen unterstützt.“ Während etwa die frühere Black-Panther-Ikone Angela Davis, nach der einer der jährlichen Preise der ASA benannt ist, die Resolution unterstützte, verurteilten die Elite-Universitäten in Harvard, Yale, Princeton, Brown und Cornell, die University of Chicago und die New York University den Beschluss. Mehrere Universitäten, darunter Brandeis und die Indiana University, traten aus der ASA aus. Am vergangenen Wochenende beschloss die Modern Language Association eine israelkritische Resolution, die aber keine Boykottaufforderung enthält.
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