Sie sind Menschen!

Südamerika nach dem WM-Kater: Hoffen auf Portugal oder Frankreich

PORTO ALEGRE taz ■ Nach dem ersten Schock über das Ausscheiden Argentiniens und Brasiliens schwankt die Stimmung unter Südamerikas Fußballfans zwischen Bedauern, Gelassenheit und Schadenfreude. „Ich bin so traurig, dass ich das ansteckende Lächeln Ronaldinhos kaum gesehen habe, ganz zu schweigen von seinem schönen Spiel“, meint Beatriz Peña aus dem kolumbianischen Bogotá zum befremdlichen Auftritt der Seleção. „Als Trost bleibt mir nur Portugal – das ist das Ähnlichste, was man in dieser europäischen Endphase zu Brasilien finden kann. Ich werde vor den nächsten Spielen Chico Buarques ‚Fado Tropical‘ auflegen.“

In Südbrasilien, der Heimat von Portugals Coach Luiz Felipe Scolari, sind die Portugiesen mehr als nur Lückenbüßer, die das Desaster der Gelb-Grünen vergessen lassen sollen. „Der Trainer macht den Unterschied“, sagt Claudio Magueta aus Porto Alegre. „Vorher haben sich die portugiesischen Spieler gehasst, jetzt lieben sie sich, zumindest auf dem Spielfeld. Das haben sie Felipão zu verdanken – der hätte auch unsere Stars zu einer echten Mannschaft machen können.“

Der Dozent Bolivar Almeida pflichtet ihm bei: „Für mich war das Scheitern der Brasilianer vom ersten Spiel an absehbar“, sagt der 56-Jährige, der jetzt ebenfalls den Portugiesen die Daumen drückt. „Traurig bin ich nicht“, sagt der Wachmann Carlos Alberto Wiedmeier, 54, „unsere Leute haben sich doch freiwillig ergeben. Eine Schande!“ Die 12-jährige Debora Machado findet: „Brasilien war einfach grottenschlecht, hundsmiserabel, sie haben nichts Besseres verdient.“

In Porto Alegres Innenstadt wurden gelb-grüne T-Shirts, Billigtrikots, Handtücher und Fähnchen zu Schleuderpreisen angeboten. „Ich stoße alles zum Einkaufspreis ab, sonst komme ich in die Miesen“, verrät die Straßenverkäuferin Fernanda Cabral. Für Fußballfan Magueta zahlt sich das vorzeitige Ende des brasilianischen Traums ganz handfest aus: „In den letzten drei Wochen hatte ich kaum noch Aufträge, das ganze Land war lahm gelegt“, sagt der Computerspezialist. „Jetzt kann ich mich vor lauter Anfragen kaum noch retten.“

Große Favoriten der Straße sind die Deutschen, wegen des Heimvorteils und Jürgen Klinsmann, der sie zu erfrischendem Offensivfußball ermuntert habe: „Argentinien hat am schönsten, am intelligentesten gespielt“, sagt Almeida, „für mich war das Viertelfinale ein vorweggenommenes Endspiel.“

Südlich des Río de la Plata war die Welt bereits am Samstag wieder in Ordnung. In Buenos Aires gab es die ersten Freudenböller beim Aus für die englischen „Piraten“, dann bei der Pleite der Brasilianer: „Wir singen die Marseillaise. Glück im Halbfinale, Frankreich!“, machte die Fußballgazette Olé auf, die schon die ersten Partien der Erzrivalen mit einem erleichterten „Sie sind Menschen!“ kommentiert hatte. Für die Wunden der Argentinier war der französische Triumph „Balsam“, befand auch die größte Tageszeitung Clarín: „Danke, Zidane, dass du uns nicht verlassen hast.“ GERHARD DILGER