Demo gegen unterirdisches Bauprojekt

BAHN In Stuttgart demonstrieren Tausende gegen das gigantische Neubauprojekt des Hauptbahnhofs „Stuttgart 21“ und verlangen mehr Mitsprache bei derartigen Vorhaben – auch Politik und Verbände beteiligen sich

„‚Stuttgart 21‘ kannibalisiert wichtigere Bahnprojekte“

BRIGITTE DAHLBENDER, BUND

AUS STUTTGART NADINE MICHEL

„Unser Bahnhof!“ „Unser Park!“ „Unsere Stadt!“ – In Stuttgart haben am Sonnabend tausende Bürger bei einer Demonstration deutlich gemacht, worum es ihnen beim Bahnprojekt „Stuttgart 21“ geht: Sie wollen mitreden über das, was in ihrer Stadt passiert. Dabei übertrafen die Proteste trotz Hitze alle Erwartungen. „10.000 plus x“ lautete die Zielmarke. Tatsächlich waren es nach Angaben der Veranstalter knapp 20.000 Menschen. Die Polizei sprach lediglich von 5.000.

Am Mittag zogen die Demonstrierenden in einem Sternmarsch durch die baden-württembergische Landeshauptstadt und trafen anschließend im Schlossgarten zusammen, wo eine Kundgebung stattfand. Ausschreitungen gab es dabei keine. „Stuttgart 21“ steht für ein milliardenschweres Bauvorhaben: Der Stuttgarter Kopfbahnhof soll samt Zu- und Abfahrtsgleisen für 4,1 Milliarden Euro größtenteils unter die Erde verlegt und in einen Durchgangsbahnhof umgebaut werden. Gegengutachten rechnen mit Kosten von mindestens 6,3 Milliarden Euro. Für weitere Milliarden soll zudem die Strecke nach Ulm neu gebaut werden.

Die Redner im Schlossgarten unterstrichen, dass es um mehr geht als „nur“ um einen neuen Bahnhof: Wählerwille, Demokratie und mündiger Bürger waren Schlagworte, die immer wieder fielen. Viele fühlen sich von den Spitzen der Politik und der Deutschen Bahn übergangen. Vor allem, dass ein Bürgerbegehren mit 67.000 Unterschriften vor drei Jahren abgeschmettert worden war, nehmen die Menschen den Projektpartnern übel.

„‚Stuttgart 21‘ frisst den letzten Rest an demokratischen Strukturen und Anstand auf“, sagte Schauspieler Walter Sittler und prophezeite: „Historiker werden einmal sagen, mit dem Protest gegen ‚Stuttgart 21‘ begann nicht nur eine Regierungsbildung jenseits von Schwarz-Gelb, sondern eine neue Demokratisierung.“

Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende des BUND, sagte: „‚Stuttgart 21‘ kannibalisiert wichtigere Bahnprojekte im Land. Bald wird offensichtlich werden, dass die begrenzten Finanzmittel für Fernverkehrsprojekte der Bahn im schwarzen Loch von ‚Stuttgart 21‘ verschwinden und wichtige Schienenprojekte im Land deshalb leer ausgehen oder auf Jahre zurückgestellt werden müssen.“

Auch die politischen Redner fanden scharfe Worte. „In Sizilien gibt es die Mafia, hier die Maultaschen-Connection“, sagte der Bundesvorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst. Er kritisierte, dass parallel zu Sparpaketen im Bund in Stuttgart Geld „verzockt“ werde.

Das Aktionsbündnis gegen „Stuttgart 21“ zog eine positive Bilanz. „Spätestens mit dieser Veranstaltung ist unser Protest gegen ‚Stuttgart 21‘ im Land angekommen“, sagte Gerhard Pfeifer. Es habe kaum eine Kundgebung in der Landeshauptstadt gegeben, an der sich so viele Bürgerinnen und Bürger aus Stuttgart, der Region und dem ganzen Land beteiligten.