„Die Kassenbeiträge werden weiter steigen“

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach zeigt sich unglücklich über die Entscheidungen der großen Koalition zur Gesundheitsreform

Herr Lauterbach, es hagelt Kritik an der Gesundheitsreform. Haben Sie Ulla Schmidt schlecht beraten?

Karl Lauterbach: Ich bin ja nicht mehr ihr Berater. Aber als Mitglied der Verhandlungsrunde trage ich natürlich auch die Verantwortung dafür, dass die Reform in einigen Punkten so deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.

Welche Punkte meinen Sie?

Das Hauptproblem der gesetzlichen Krankenversicherung besteht darin, dass die Einnahmen seit 15 Jahren hinter den Ausgaben zurückbleiben. Hier hätte es zwei mögliche Lösungen gegeben, um die Einnahmebasis zu verbreitern: entweder, indem die Gutverdienenden, insbesondere die Privatversicherten, sich an der solidarischen Finanzierung beteiligen. Oder indem zusätzliche Steuermittel aufgewendet werden. Beides ist nicht gelungen. Daher ist zu befürchten, dass die Beitragssätze weiter steigen und die Einnahmen auch künftig nicht mit den Ausgaben Schritt halten.

Die Probleme bleiben – ist die Reform nun ein Witz oder ein Desaster?

Die Reform ist noch nicht zu Ende. Jetzt wird ein Fonds eingeführt, in den die wenigen Gutverdienenden der gesetzlichen Krankenkassen einzahlen, die vielen Gutverdienenden der privaten Krankenversicherung aber nicht. Das kann auf Dauer nicht so bleiben, denn sonst wäre der Fonds sinnlos.

Welche Elemente vom SPD-Konzept einer Bürgerversicherung – die breitere Einkommensbasis, ein größerer Versichertenkreis – sind darin überhaupt in irgendeiner Form enthalten?

Im Fonds konnte nichts davon realisiert werden. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Frage, ob dieser Fonds überhaupt nötig ist. Weder erreichen die Steuerzuschüsse eine lohnnebenkostensenkende Dimension, noch werden andere Einkommensarten, wie Kapitaleinkünfte, zur Beitragsberechnung herangezogen. Auch die Beitragsbemessungsgrenze wird nicht erhöht. Die einzige Alternative ist, die kleine Kopfpauschale zu erhöhen.

Der Fonds wird also in erster Linie von der Union bestückt, nämlich mit der kleinen Kopfpauschale?

Ja, ich glaube, das ist der Einstieg in die Kopfpauschale. Denn die Kosten werden weiter steigen, wie es ja auch Frau Merkel prognostiziert hat. Dann müssen entweder die staatlichen Beiträge im Fonds erhöht werden oder die Zusatzbeiträge, die von vielen Krankenkassen als kleine Kopfpauschalen kassiert werden. Letzteres halte ich für wahrscheinlich.

Ein kleiner Steuerzuschuss in Höhe von 4,5 Milliarden Euro in dieser Legislaturperiode wurde bewilligt. Ist dies, wie Ihr Parteichef Beck meint, der Einstieg in die Steuerfinanzierung?

In der Tat ist damit der Einstieg in die Steuerfinanzierung verteidigt worden, aber die Größenordnung reicht natürlich nicht, um Beitragssatzerhöhungen zu vermeiden. Allein bis zum Jahr 2009 fehlen je nach Berechnungsgrundlage bis zu 20 Milliarden Euro im Gesundheitssystem.

Wie soll dieser Fehlbetrag ausgeglichen werden – sind Beitragserhöhungen über die angekündigten 0,5 Prozentpunkte hinaus wahrscheinlich?

Die Höhe ist noch nicht sicher zu berechnen. Sicher ist nur, dass die Beiträge weiter steigen werden.

Welche Punkte tragen eigentlich die Handschrift der SPD?

Die SPD hat wichtige Punkte der Strukturreform durchgesetzt, beispielsweise den Einstieg in Vorsorgeprogramme für über 45-Jährige. Aber bei der Finanzierungsreform fällt es schwerer, die sozialdemokratischen Elemente zu benennen. INTERVIEW: ANNA LEHMANN