„Solidarität fällt schwer“

VORTRAG Ob Gewerkschaften in der Krise sind oder ein Comeback erleben, steht zu Diskussion

■ 72, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Uni Marburg. 2012 erschien „Gewerkschaften in der Großen Transformation“ im Papyrossa Verlag.

taz: Herr Deppe, was haben Sie gegen Gewerkschaften?

Frank Deppe: Nichts. Ich bin seit ewigen Zeiten in der Gewerkschaft, habe eine silberne Nadel.

Aber?

Die Gewerkschaften als Klassenorganisationen sind stark geschwächt worden. Mit dem Übergang vom Industrie- zum Finanzmarkt-Kapitalismus, der Globalisierung, haben die sozialpartnerschaftlichen Kräfte an Bedeutung gewonnen, die auf die Kooperation mit Unternehmen und Staat setzen und sich nicht als deren Gegner begreifen.

Woher kommt das?

Das hat viele Ursachen. Aber auch der Zusammenbruch der Sowjetunion hat dazu beigetragen, dass vielen das Denken von Alternativen zum Kapitalismus fortan als unmöglich erschien. Allerdings müssen wir über ein Comeback der Gewerkschaften diskutieren.

Auf die Eurokrise hatten sie keine Antwort.

Doch, schon. Sie haben auf betrieblicher und politischer Ebene ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit verhindert, waren in Deutschland tarifpolitisch erfolgreich. In Europa haben soziale Bewegungen und Generalstreiks zugenommen.

Aber die Solidarität deutscher Arbeiter hat Grenzen?

Hiesige Gewerkschafter tun sich sehr schwer, das deutsche Modell einer Export-orientierten Ökonomie zu kritisieren, die ihre Erfolge durch Druck auf Löhne und die Defizite anderer Länder aufbaut.

Warum?

Sie repräsentieren Arbeitnehmergruppen, die zu den Privilegierten in Europa gehören, etwa die tarifgebundenen Automobil-Arbeiter. Da Solidarität mit den Opfern der Eurokrise zu üben, fällt ihnen schwer.  INTERVIEW: JPB

20 Uhr, Villa Ichon