Polen will Opfer sein

Die Konservativen möchten den Patriotismus wiederbeleben. Dafür ist jedes Mittel recht

AUS WARSCHAU GABRIELE LESSER

Polens Politiker schlagen wieder einmal auf die „bösen Deutschen“ ein. Das tun sie seit Amtsantritt der nationalkonservativen Regierung unter Kazimierz Marcinkiewicz besonders gern. Diesmal muss eine politische Satire der taz für dutzende von Politiker- und Publizisten-Kommentaren herhalten. Tenor: Die niveaulosen und faschistoiden Deutschen beleidigen Polen und seinen Staatspräsidenten Lech Kaczyński, wo sie nur können. Außenministerin Anna Fotyga holte den ganz dicken Knüppel aus dem Sack und verglich die auch in Polen als linksliberal bekannte taz mit dem antisemitischen Nazi-Hetzblatt Der Stürmer. Und Roman Giertych, Vorsitzender der Liga der polnischen Familien und Erziehungsminister, fordert, dass der deutsche Botschafter einbestellt wird, um ihm klar zu machen, dass die deutsche Presse so nicht über Polens Oberhaupt schreiben dürfe.

Die Bundeskanzlerin jedoch mochte gestern nicht auf das Bitten der polnischen Regierung reagieren, sich mit dem polnischen Präsidenten zu solidarisieren. Angela Merkels Sprecher Ulrich Wilhelm erklärte, dass in der Regierung „das Verhältnis zu Polen für eng, freundschaftlich und vertrauensvoll gehalten wird“. Die Auffassung des taz-Autors entspreche nicht der der Regierung und diese äußere sich ansonsten nie zu den Pressemeinungen über Vertreter anderer Staaten. Dies haben man der polnischen Regierung auch schon auf diplomatischem Wege mitgeteilt.

Lauthals beschwert über einen Artikel auf der taz-Seite „Die Wahrheit“ hat sich bislang nur der Iran. Seit einer Ajatollah-Satire darf kein Korrespondent der taz mehr offiziell aus dem Iran berichten. Polens Außenministerin aber empört sich vor laufenden Kameras: „Niemals wurde bislang jemand so attackiert wie Lech Kaczyński, selbst Saddam Hussein und Alexander Lukaschenko nicht.“ Das aber stimmt nicht. Michael Ringel, Wahrheit-Ressortleiter, zieht die Artikel aus dem Internet: „Das Monster von Minsk. Schurken, die die Welt beherrschen wollen. Heute: Alexander Lukaschenko“ und „Er wollte Balletttänzer werden. Saddam Hussein oder auch Der Bulldozer Gottes“.

Polens Außenministerin weiß das nicht, lässt es aber auch nicht recherchieren. Da sie kein Deutsch spricht, muss sie sich auf die Übersetzung aus der polnischen Botschaft in Berlin verlassen oder auf die, die die liberale Gazeta Wyborcza publiziert hat. Beide Übersetzungen haben aber aus dem ursprünglichen Satiretext einen trockenen Artikel gemacht, der dem Stereotyp des „typisch Deutschen“ in Polen entspricht: humorlos und arrogant.

Dass die Außenministerin gleich nach dem Stürmer-Vergleich greift, hat nicht nur mit einem Trend zur Banalisierung des Naziterrors in Polen zu tun, sondern auch mit einer antideutschen und antirussischen Grundhaltung der derzeit Regierenden. Die neu-alten Feindbilder aus der Zeit der Volksrepublik sollen ablenken von den antieuropäischen Überzeugungen der Regierungskoalition und das Volk der Polen wieder zu einer großen „solidarischen“ Nation zusammenschweißen. Ziel der im Regierungsprogramm verkündeten „IV. Republik“ ist im Grunde genommen eine Rückkehr zum Jahr 1989, als Polens Geschichtsbild vom ewigen „Helden und Opfer“ noch intakt war.

So verglich vor kurzem Polens Verteidigungsminister Sikorski von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit die deutsch-russische Gaspipeline mit dem „Hitler-Stalin-Pakt“, ohne dass die Gleichsetzung von Merkel mit Hitler und Putin mit Stalin auch nur die leiseste Kritik hochrangiger Politiker in Polen ausgelöst hätte. Ein simples Gasgeschäft mit einem Pakt zu vergleichen, dessen Konsequenz die Teilung Polens war, hat eindeutig die Verunglimpfung der Nachbarn zum Ziel.

Dass nun die taz gleich zum Nazi-Blatt Stürmer mutiert, nur weil sie Kaczyńskis ach so saubere Sexualmoral (mehrfaches Verbot der Love Parade in Warschau), seinen stolzen Piłsudski-Patriotismus und seine nicht ganz zum Bild des „großen Polen“ passende Ministatur verulkt, gehört zur neuen „Geschichtspolitik“ Polens: die Selbstinszenierung als großes Opfer.

Nächste Woche sollte im Sejm eigentlich über die deutsch-polnischen Beziehungen debattiert werden. Doch Außenministerin Fotyga bat den Parlamentspräsidenten, die Debatte zu verschieben. Sie wolle sich besser vorbereiten, meinte sie in Anspielung auf den taz-Artikel. Die letzte große Debatte über die deutsch-polnischen Beziehungen ging im Tumult unter. Da waren die Nationalisten, die heute in der Regierung sitzen, noch in der Opposition.