„Das ist auch meine private Geschichte“

ADAPTION In Braunschweig bringt die Regisseurin Anna Bergmann Max Frischs Roman „Homo faber“ auf die Bühne. Ein Gespräch über Schullektüre und Erinnerungen, abwesende Väter und lila Haare

■ 35, studierte an der Hochschule Ernst Busch in Berlin und arbeitet als Regisseurin an verschiedenen Häusern. Foto: Marco Hofschneider

taz: Frau Bergmann, als Standard-Schullektüre ist der Roman „Homo faber“ ja ein ziemlich abgegriffener Stoff. Warum inszenieren Sie ihn jetzt fürs Theater?

Anna Bergmann: Am Anfang denkt man, och nee, Max Frisch und dieser trockene Stoff, soll ich mir das wirklich geben? Und dann liest man das und merkt, wie man immer mehr in diesen Sog reingerät, weil es literarisch echt toll ist und auch sehr poetisch wird, zum Ende hin. Man merkt, wie dieser Walter Faber eine ungeheure Entwicklung durchmacht, vom Voll-Macho hin zum kleinen Wurm. Das fand ich reizvoll.

Ihre Vorlage ist ja kein dramatischer Stoff, sondern Prosa.

Ich habe mich entschieden, dass ich da nicht einen, sondern sechs Homo faber auf die Bühne stelle: unterschiedliche Männertypen, die aber alle gleich aussehen. Die Kostümbildnerin Lane Schäfer hat ihnen lila Haare und lila Anzüge gegeben. Die Faber agieren zeitweise wie ein griechischer Chor, wie lauter Alter Egos, die immer auf den Haupt-Faber einreden und mit ihm interagieren.

Es gibt einen Haupt-Faber?

Den Schauspieler Hans-Werner Leupelt. Aber der hört immer wieder diese Stimmen aus der Vergangenheit, die Dinge berichten. Parallel passieren dazu auch andere Vorgänge auf der Bühne und es gibt viele Dialog-Passagen, die ich reingeschrieben habe. Die Frage ist, wie setzt sich Erinnerung zusammen.

Im Roman gibt es immer wieder auftauchende Erinnerungsfetzen. Wie bringen Sie so etwas auf die Bühne?

Es ist wichtig, dass man Klangräume hat, dass der Zuschauer über den Sound versteht: Aha, jetzt sind wir nicht mehr in New York, jetzt sind wir auf einem Schiff und später sind wir plötzlich im Dschungel. Das hört man und das sieht man über das Bild.

Wie ist die Bühne gestaltet?

Es ist ein Einheitsbühnenbild, Faber bewegt sich in einer Art Erinnerungsraum. Oder auch Warteraum vor dem Tod. Mit blauen Vorhängen und zwei Ebenen. Hinter diesen Vorhängen tauchen immer neue Elemente auf, so dass man das Gefühl haben könnte, es finden Verwandlungen statt. Es gibt auch Momente, in denen sich die vierte Wand öffnet, die Schauspieler in den Saal treten und sich der gesamte Raum auflöst. Das passiert zum Ende hin, wenn alle Vorhänge fallen und sich der Faber dem Tod nähert.

Ihre Inszenierung von „Miss Sara Sampson“ und die Adaption des Ingmar-Bergman-Drehbuchs „Treulose“ schöpften aus Ihrer eigenen Geschichte – als Kind getrennter Eltern. Wie ist das bei „Homo faber“?

Sabeth ist eine Figur, die vaterlos aufgewachsen ist, das ist natürlich mein Thema, weil das eben auch meine private Geschichte ist. Jenseits von diesem persönlichen Zugriff ist für mich das Hauptthema in „Homo faber“ das Schicksal dieses Mannes: Er lebt auf großem Fuß und glaubt, er habe alles begriffen. Und am Ende weiß er, dass er eben gar nichts begriffen hat. Er ist eigentlich machtlos dem Leben gegenüber, wenn er es nicht annimmt und nicht lebt. Da finde ich mich auch sehr wieder: Weil ich auch immer arbeite wie eine Wahnsinnige und denke, ich habe alles unter Kontrolle, ich habe alles im Griff. Und dann merkt man, man muss einfach mal loslassen, man muss das Leben auch mal leben. INTERVIEW: ALEXANDER KOHLMANN

Premiere: Samstag, 18. Januar, 19.30 Uhr, Staatstheater Braunschweig