„Die Wittener sind schneller einsetzbar“

In der Klinik überzeugt die Wittener Ausbildung, findet der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe

taz: Herr Hoppe, die Medizinerausbildung der Uni Witten-Herdecke steht auf der Kippe. Sind die Wittener Absolventen schlechtere Mediziner?

Jörg-Dietrich Hoppe: Nein, im Gegenteil. Die Wittener sind schneller einsetzbar als die meisten Absolventen staatlicher Unis. Sie haben während ihres ganzen Studiums Kontakt mit Patienten und können problemorientiert arbeiten. Außerdem haben die Studierenden in Witten deutlich mehr Lehrer als die meisten staatlichen Universitäten anbieten. Diese sehr hohe Qualität ist in deutschen Kliniken auch anerkannt. Das Berliner Charité hat das Wittener Modell sogar kopiert.

Warum dann diese – möglicherweise vernichtende – Kritik des Wissenschaftsrats? Es soll sogar zu wenig Lehrpersonal geben.

Mediziner lernen ja nicht nur von den Hochschuldozenten, auf die sich dieser Kritikpunkt des Wissenschaftsrats ausschließlich bezieht. Ein Arzt hat viele Lehrer und davon sind eine ganze Reihe keine Akademiker, sondern Krankenschwestern und Pfleger. Und was die lehren, kann man nicht in Vorlesungen beibringen. Deshalb brauchen die staatlichen Absolventen dann auch länger bis sie den Krankenhausalltag bestehen.

Es ist ja insbesondere diese Praxisorientierung, die den Wissenschaftsrat stört. Ist die Forschung Wittens Manko?

Die Forschungsleistung ist tatsächlich das größte Problem. Das hat natürlich immer etwas mit Geld zu tun. Als private Universität ist Witten-Herdecke noch stärker auf Drittmittel angewiesen als eine staatliche Uni. Und Grundlagenforschung ist für Sponsoren halt nicht attraktiv. Deshalb konzentrieren sich die Wittener auf die hierzulande nicht so etablierte Versorgungsforschung.

Warum ist diese Forschungsrichtung nicht anerkannt?

In Deutschland ist die Qualität der Versorgung noch eine private Zufriedenheitsfrage zwischen Patient und Klinik. Das ist aber auf die Dauer zu teuer für das Gesundheitssystem. Deshalb wird sich der Status der Versorgungsforschung ändern. In Ländern wie Großbritannien, wo das Gesundheitswesen aus Steuergeldern finanziert wird, betreibt der Staat schon allein aus Eigeninteresse Versorgungsforschung. Man sollte mit den Wittenern noch ein paar Jahre Geduld haben, um zu diesen Forschungszweig entwickeln zu lassen. Dann genügt er sicher universitären Ansprüchen.

Fehlt Witten dafür nicht auch die eigene Uniklinik?

Diese Kritik ist unhaltbar. Auch die Uni Bochum hat mehrere Lehrkrankenhäuser. Außerdem arbeiten alle Krankenhäuser, die einen Vertrag mit der Uni Witten haben, auf Uniklinikniveau und hatten und haben zum Teil auch Verträge mit anderen Universitäten.

Trägt der Wissenschaftsrat heute einen Kulturkampf zwischen althergebrachter und moderner Medizinerausbildung aus?

Kulturkampf ist übertrieben. Ich würde sagen, die Bewusstseinsöfffnung hat noch nicht bei allen Mitgliedern stattgefunden. Ich denke aber, der Rat gibt Witten eine Chance. INTERVIEW: MIRIAM BUNJES