Frau Chefredakteur

Happy Birthday Die Macht faszinierte sie. Von der Theorie eines weiblichen Führungsstils hielt sie indes nur wenig: Der ehemaligen taz-Chefin Bascha Mika zum 60. Geburtstag

Niemand konnte das Wort Testosteron so hübsch verächtlich aussprechen wie sie

VON DIRK KNIPPHALS

Im Berliner Tagesspiegel entstand mal eine ebenso lustige wie in Bezug auf Bascha Mika aufschlussreiche kleine Geschlechtsverwirrung. Und zwar lautete die Erläuterung unter einem Porträt der damaligen taz-Chefredakteurin: „Sie ist der einzige weibliche Chefredakteur einer überregionalen Zeitung in Deutschland.“ Von der Sache her ist die Aussage ja klar. Tatsächlich gab es damals keine andere Frau auf diesem Posten. Aber es ist offenbar schwer, diese Tatsache mit korrekter deutscher Grammatik auszudrücken. Der Begriff Chefredakteur ist so männlich besetzt, dass er vom Genus her auch männlich bleiben muss, selbst wenn mit ihm eine Frau bezeichnet wird.

Man kann sich auch als Journalist seine Chefinnen nicht aussuchen – allerdings kann man in der taz anders, irgendwie mehr auf Augenhöhe mit ihnen umgehen als anderswo. Eine Struktureigenheit innerhalb des sonst sehr hierarchisch organisierten deutschen Journalismusbetriebs, die Bascha Mika stets als „tazzig“ nicht nur akzeptiert, sondern offensiv nach außen vertreten hat.

Doppelte Außenseiterin

Genauso wenig kann sich aber, wie die Tagesspiegel-Anekdote zeigt, die jeweilige Chefin die Strukturen aussuchen, in denen sie Chefin wird. Bascha Mika konnte sich das erst recht nicht. Und nun mal ohne den Schmus gesagt, der bei Gratulationsartikeln zwar üblich sein mag, den Bascha Mika aber gar nicht nötig hat: Es müssen schräge, zehrende, anstrengende Erfahrungen gewesen sein, die sie gesammelt hat, als sie – als Linke wie als Frau doppelt als Außenseiterin markiert – sich im Kreise der Entscheidungsträger und Alphatiere wiederfand.

Sie war nicht die erste Chefredakteurin der taz, aber doch die erste, die so lange blieb – von 1999 bis 2009 –, dass sie in die Gremien und die Hinterzimmer der Macht hineinkam. Dort stieß sie auf Testosteronmenschen – niemand konnte das Wort Testosteron so hübsch verächtlich aussprechen wie sie – und zugleich auf die Erwartungshaltung, dass sie als Frau das alles ganz anders angehen würde. Das war ganz sicher keine leichte Situation. Im Reich der Alphatiere ging es nicht nur darum, sich im Kreis der Macht zu behaupten. Da existierten noch ganz andere Herausforderungen: die Falle, in eine Enfant-terrible-Ecke hineingedrängt zu werden. Oder die Sprecherinnenrolle, eine ungünstige Position, weil sie die Gefahr beinhaltet hätte, als irgendwie nötige, aber im Grunde nur dekorative Quotenfrau abgestempelt zu werden. Die Einordnungen in der Hackordnungswelt sind manchmal sehr subtil. Und die Erwartung, das nun irgendwie weiblich aufbrechen zu können, kann sich, eingekeilt zwischen eingespielten Mechanismen und Sachzwängen, als ziemliche Zumutung herausstellen.

Allerdings: Mit Machos kann sie. Konnte sie immer. Nur nicht einschüchtern lassen, lautet da ihre Devise. Argumentativ dagegenhalten. Dem selbstverständlichen Machtgehabe mit Mimik und Gestik die Luft aus den Segeln nehmen. Und auf die Frage: „Gibt es einen weiblichen Führungsstil?“, antwortete sie in einem Interview, kurz bevor sie Chefin wurde: „Nein, das ist ein Irrtum. Frauen in Führungspositionen werden häufig mit der Erwartung konfrontiert, dass sie nicht nur effektiv arbeiten, sondern darüber hinaus noch das leisten sollen, wozu Männer nicht in der Lage sind, zum Beispiel kooperativ und kommunikativ zu sein. Solche Ansprüche – wenn man sie teilt – müssen für Männer und Frauen gleichermaßen gelten.“ Dann fügte sie noch an: „Es gibt jenseits von Alice Schwarzer so viele Führungsstile, dass ich einen mir angemessenen finden werde.“ Die Selbstsicherheit, ihre eigenen Qualitäten ausspielen zu können, aber zugleich als Frau nichts beweisen zu müssen, jedenfalls nicht mehr als die Männer, zeichnet sie aus.

Eine Zeitgeschichte, die Ideen hätte, könnte auf den Ansatz kommen, einmal die Werdegänge von Bascha Mika und Angela Merkel miteinander zu vergleichen. Politisch hat Bascha Mika mit der ersten deutschen Kanzlerin natürlich nichts gemein. Aber in der Art und Weise, bis dahin eindeutig männlich kodierte Positionen innerhalb der jeweiligen Hierarchien einzunehmen, gehört Mikas Karriere vielleicht sogar zur Vorgeschichte von Merkels Kanzlerschaft.

So wie Merkel hatte Bascha Mika zunächst keine typische Hausmacht. Als Journalistin kam sie nicht von der politischen Leitartikelei her, von der Politikbeobachtung oder von den Kommentarseiten, aus denen sich traditionell Chefredakteure rekrutieren. Sie war Reporterin. Doch wenn man sich aus Anlass ihres heutigen Geburtstags durch die Texte liest, die sie geschrieben hat, nicht nur durch ihre Bücher über Alice Schwarzer und die Feigheit der Frauen, die beide auf ihre Art für Furore gesorgt haben, sondern auch durch ihre früheren taz-Reportagen und Porträts, dann stellt man fest: Sie nutzte diese Position als Reporterin, um ins Zentrum des Diskurses zu kommen.

Nachdem Anfang der 90er Jahre in Mölln das Haus der Familie Arslan und in Rostock-Lichtenhagen das Flüchtlingsheim brannte, war sie da. Und dass sie dann später, im Vorfeld der rotgrünen Bundesregierung, etwas an der Macht reizte, wird klar, wenn man sich ihre damaligen Porträts ansieht. „Die Macht steht ihr gut“, prangt als Überschrift über ihrem Porträt der ehemaligen schleswig-holsteinischen SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis. Der nordrhein-westfälischen Grünen-Politikerin Bärbel Höhn attestiert sie 1995 einen „Willen zur Macht“. Das war nicht hundertprozentig positiv gemeint. Aber man merkt: Irgendetwas triggert die Porträtistin da an.

Und dann der Coup: So wie sich Angela Merkel irgendwann den größten Wal ihrer Partei vornahm – Helmut Kohl nach der Spendenaffäre – so arbeitete sich Bascha Mika an der großen Ikone der deutschen Frauenbewegung ab. Zwei Jahre, bevor ihre „kritische Biografie“ über Alice Schwarzer fertig war, erschien Bascha Mikas Abrechnung mit der selbsternannten Chefin der Frauenkämpferinnen seitenlang in der taz. Dabei bewies Bascha Mika nicht nur unglaublich viel Courage, sondern auch ein Gefühl dafür, wozu die taz da ist. Was in allen anderen Publikationen sofort als Backlash und versuchter reaktionärer Angriff auf die Frauenbewegung verstanden worden wäre, war in der taz eine notwendige Selbstreflexion innerhalb der Frauenbewegung. Von der antiautoritären taz-Position aus zielte der Angriff auf die autoritären Strukturen, von denen aus Alice Schwarzer die Frauenfragen monopolisieren wollte.

Apropos antiautoritär. Nicht nur bei der Vertretung der taz nach außen, auch innerhalb der taz hat Mika Herausforderungen erlebt. Das Klischee besagt, dass erst sie in dem genial-chaotischen Haufen der tazler professionelle Strukturen und Hierarchien eingeführt hat. Sie selbst weiß es besser. In einem Fernsehinterview mit dem Journalisten Hajo Schumacher sagte sie, dass die Redaktion selbst auf der Suche danach war, sich funktionierende Hierarchien zu geben.

Das ist ein wichtiger Unterschied. Das Klischee geht davon aus, dass Autorität immer von außen oder oben kommen muss. Das ist nichts anderes als ein konservatives Menschenbild, nach dem Menschen geführt werden müssten. In Bascha Mikas eigener Lesart geht es aber um Steuerung der Redaktion durch die Redaktion für die Leserschaft. Es geht darum, in die Selbstverantwortlichkeit des alternativen Betriebs eine verbindliche Verantwortlichkeit für das Ganze des Projekts einzuziehen.

Einfach Sturköpfigkeit

Es ist ein bisschen naiv zu glauben, dass man selbst bei so einer Einrichtung mit typisch flachen Hierarchien, wie die taz eine ist, mit der Kraft des besseren Arguments auskommt. Vielmehr braucht es, wie in der Politik auch, die Fähigkeit zum Bohren harter Bretter – wenn man zu wenig Druck gibt, bleibt alles, wie es ist, wenn man zu viel Druck gibt, splittert das Holz auseinander. Und natürlich braucht es auch ganz einfach, wie Bascha Mika sich bei Hajo Schumacher selbst konstatiert hat, Sturköpfigkeit.

Bascha Mika hat es geschafft, dieses harte Brett, die strukturelle Selbstfindung einer Redaktion, zu bohren. Eine tatsächlich irre Leistung, die man, so sehr man sich dabei auch gestritten hat, würdigen muss. Ohne Blick aufs Ganze hätte die taz als Zeitung wohl nicht bestehen können. Aber nicht nur deshalb: Herzlichen Glückwunsch zum 60., Bascha!