Lutsch meine Knarre

Schwule Gangsta-Rapper wie Deadlee zeigen, dass Hiphop nicht mehr nur aus unterdrückter, sondern auch aus gefeierter Homosexualität besteht

„Nenn mich schwulen Latino-Gangster oder Homothug, den schwulsten Macker des Planeten“, sagt Deadlee und lacht sich kaputt

VON TIM STUETTGEN

Als vor zwei Jahren der afroamerikanische Journalist und Hiphop-Experte Nelson George in vielen deutschen Städten Vorträge hielt, war es immer die gleiche Szene, in denen die sonst fast religiöse Stimmung der jungen Hiphop-Devotees einen Bruch erlebte: „Hiphop ist offensichtlich ziemlich schwul“, sagte Nelson, worauf Stöhnen, Räuspern und eine Runde unruhiges Hin- und Hergeschiebe auf den harten Stühlen begann. Süffisant nutzte Nelson diesen Moment dann für eine Hand voll semilustiger Witze über Eminem, der mit nacktem Popo durch eines seiner Videos rennt, und den Hardcore-MC DMX, der nicht nur gerne bellende Hunde mit seinem Style imitiert, sondern auch, wie so viele seiner Kollegen, beste Freunde liebevoll mit „My Dogs“ anredet.

Man hätte sich einen ganzen Vortrag zum Thema gewünscht und nicht nur ein paar Treppenwitze. Der homosoziale Männerbund, in dem die harten Straßenjungs am Mic Geld, Autos, Waffen oder die guten alten Bitches untereinander kursieren lassen, ist seit dem Comeback von Gangsta Rap wieder das prägende Ding des Genres. Wobei wohlgemerkt das Bedürfnis nach Gaybashing in Afroamerika nicht vor großen Szene-Moralisten wie dem Conscious-MC Common Halt macht: Auch er lässt immer wieder gerne Reime gegen Fags ab. Dass Hiphop aber schon seit einiger Zeit ein Territorium ist, das nicht nur aus unterdrückter, sondern auch aus gefeierter Homosexualität besteht, ließ Nelson George damals unerwähnt.

Seit sechs Jahren gibt es etwa das Peaceout-Festival in San Francisco, welches Nachahmer und Kooperationen in New York, Oakland und London gefunden hat. Wochenenden werden dort zu ekstatischen Blockpartys für den heißen Scheiß namens Homohop, in denen sich Lesben und Schwule, Transmänner und Dragqueens die Mics in die Hände drücken und ihre vielfältigen Identitäten feiern. Eine der momentan präsentesten von ihnen ist der Hardcore-Rapper Deadlee.

„Hi. Hier ist Deadlee, nenn mich schwulen Latino-Gangster oder Homothug. Du kannst es dir aussuchen!“, sagt die Stimme am anderen Ende der Leitung und lacht sich kaputt. „Man nennt mich auch den schwulsten Macker des Planeten. Ich zerstöre die Stereotypen des Hiphop und von alldem, was der Mainstream als die Wahrheit von schwul bezeichnet.“ Der Latino-MC könnte in Sachen Look auch mit den Jungs von Booya Tribe und Cypress Hill abhängen. Sein konsequenter Streetstyle mit Kopftuch, Unterhemd und Tattoos führte nicht nur einmal dazu, dass er auf den Straßen von Los Angeles von Polizisten oder Alltagskriminellen als Gangmitglied identifiziert wurde.

„Es hat ein kleiner Paradigmenwechsel stattgefunden“, erzählt er. „Heute schockt fast niemanden mehr die typische Dragqueen auf der Bühne, solange sie nicht politisch ist, natürlich. Aber wenn ein maskuliner Typ mit sinnlichem Flow übers Schwänzelutschen rappt, ist der Teufel los.“

Für genau dieses Publikum habe er mit seinem Kumpel Dutchboy den Track „No Fags Allowed“ geschrieben, in dem auf einmal die Homophoben als Schwuchtel bezeichnet werden. Der schlicht, aber bedrohlich bouncende Track ist auch auf seinem zweiten Album „Assault With A Deadlee Weapon“ (Bombastic Records) vertreten, dessen Werbespruch „Suck Muh Gun!“ schon Klassikerstatus in der Szene besitzt. Auf den zwölf Tracks, die souverän Genres wie Hardcore-Rap und sleazy Lovesoul, Spoken Word und Punk bedienen, kriegen natürlich auch die großen Homohater des kommerziellen Raps, von 50 Cent bis Eminem, ihr Fett ab. Doch auch Themen wie Polizeigewalt, Rassismus oder Arbeiterklassendepression ziehen sich durch das Album. Einen Eindruck von seinem Alltag bekommt man auch in seinem Blog (deadlee.livejournal.com), der einen daran erinnert, dass das normative gesellschaftliche Raster der USA für jemanden wie Deadlee immer noch wenig Spaß bedeutet.

Angesprochen auf den George-Nelson-Vortrag betet Deadlee sofort erfreut eine Liste mit seinen Lieblingsschwulen des homophoben Mainstreams herunter: Auf Method Man folgt Redman, dann Puff Daddy und natürlich die 50-Cents-Posse G-Unit, die er mit Zärtlichkeit Gay-Unit tauft. Seine Lieblingsgeschichte ist die, wie er vor zehn Jahren einem sexy Typen im Park einen geblasen hat, der genauso ausgesehen haben soll wie LL Cool J.

Internetseiten wie Myspace.com haben den lokalen Kontexten geholfen haben, ein mittlerweile international funktionierendes Netzwerk aufzubauen. Ob der britische MC-Q-Boy, der aussieht wie das Mitglied eine Boyband, die Latino-Rapperin Jen-Ro, die gerade nach Berlin umziehenden Punktrash-Rapperinnen Screamclub oder das afroconscious Deep Dick Collective, die queere Hip-Hop-Bastion wächst weiter und wird sogar zurzeit in den USA durch den ersten großen Dokumentarfilm „Pick Up The Mic“ einem größeren Publikum vorgestellt.

Würde es nach Deadlee gehen, könnte der Spaß so weitergehen. Der Mainstream habe sich einfach daran zu gewöhnen, dass queerer Funk jetzt durch die Venen der Hiphop-Szene, genau wie durch die Akademia oder andere gesellschaftliche Bereiche laufen würde. Auf Homonormativität und Middleclass-Values habe er deswegen trotzdem keine Lust: „Der einzige Grund, immer mal wieder für ein paar Monate zu heiraten, ist der konservative Trip, auf dem unser Präsident sich befindet. Da bekomme ich sogar Lust auf so einen Quatsch.“

Auch weil sich einflussreiche Mainstream-MCs wie Kanye West vor einigen Monaten erstmals überraschend eindeutig gegen Homophobie in der afroamerikanischen Community ausgesprochen haben, bleibt Deadlee jedenfalls Optimist. Leider wären die Schlimmsten im Business sogar eher die, die Angst vor einem Outing hätten. „Was ein Wunder! Es gibt nämlich sehr viele von uns da draußen, haha!“

Für alle Wankelmütigen organisiert Lee trotzdem jeden Monat die Party DL in Santa Monica, welche sich spielerisch an dem begriff „downlow“ orientiert, eine Bezeichnung für Queers jenseits des Outings. Auch wenn es ihn nerve, probiere er die Underground-Fags zu respektieren. Denn nicht (nur) Hiphop, sondern ganz Amerika sei homophob.