Struck im Urlaub. Merkel gerettet

Der SPD-Fraktionschef hat sich mit der Kanzlerin angelegt – erst verdeckt, jetzt offen. Sein Ferienbeginn verschafft ihr eine Pause im Koalitionskrach

Peter Struck ist der Sozi der Stunde. Er greift Angela Merkel an, um seine eigene Fraktion zu entlasten

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Also, wer bei den Sozialdemokraten noch nicht hat, aber immer schon mal wollte – jetzt darf er. Es ist erlaubt, auf die Kanzlerin raufzuhauen, von oben abgesegnet, von höchster sozialdemokratischer Stelle sogar erwünscht. Am Dienstag attackierte Fraktionschef Peter Struck höchstpersönlich Angela Merkel, einen Tag danach verteidigte Vizekanzler Franz Müntefering Strucks Worte, ohne allerdings die Kanzlerin direkt anzugreifen. Es war abzusehen, dass spätestens am Donnerstag die ersten Genossen übermütig werden würden. Die Stunde von Johannes Kahrs, um verbale Ausfälle nie besonders verlegen. Der Sprecher des konservativen „Seeheimer Kreises“ analysierte das Problem der Regierung so: „Der Fisch stinkt immer vom Kopf her.“ Damit meinte er natürlich Merkel. Sie werde immer mehr zum Problem der Regierung, sagte Kahrs. „Die hat ihren Laden nicht im Griff. Kaum pfeifen da drei, vier Ministerpräsidenten, kippt die Kanzlerin um.“

Der Ärger in der SPD ist groß – über den mit der Union ausgehandelten Kompromiss bei der Gesundheitsreform einerseits, über die Rolle von Merkel und ihrer Ministerpräsidenten andererseits. „Wortbruch“ werfen der Kanzlerin fast alle wichtigen Sozialdemokraten vor, die einen öffentlich, die anderen intern. Sie greifen sie an, weil sie sich ihrer Meinung nach nicht an die von beiden Seiten getroffene Vereinbarung gehalten hat, mit der Reform auch einen Einstieg in die Steuerfinanzierung des Gesundheitssystems zu ermöglichen. In der Koalitionsrunde am 25. Juni hatten sich Union und SPD noch darauf verständigt, die Kanzlerin hatte Finanzminister Peer Steinbrück entsprechende Prüfaufträge erteilt – um ein paar Tage später angesichts des organisierten Widerstandes mehrerer Ministerpräsidenten von CDU und CSU diesen Plan wieder aufzugeben.

Der Ärger in der SPD ist so groß, dass die Spitze der Union sich gestern schon genötigt sah, vor einem Ende der großen Koalition zu warnen. „So jedenfalls kann man die nächsten drei Jahre nicht miteinander umgehen“, sagte Fraktionsvize Wolfgang Bosbach. Die Warnung ist natürlich eine Übertreibung. Aber es stellt sich schon die Frage, ob der Ärger der Genossen allein deswegen so groß ist, weil er wirklich so empfunden wird – oder weil er bewusst hochgespielt wird?

Diese Frage ist nicht zu beantworten, ohne gleichzeitig über Peter Struck zu reden. Der Fraktionschef steht im Zentrum der öffentlichen Aufregung innerhalb der Koalition. Sein 30-Sekunden-Auftritt vom Dienstag, als er vor dem SPD-Fraktionssaal seine Haltung zum Gesundheitskompromiss erläuterte, hatte Sprengkraft. Merkel habe sich nicht an die Absprache gehalten, sagte Struck. „Das darf nicht oft passieren. Das darf eigentlich gar nicht passieren.“ Solch eine despektierliche Äußerung eines Fraktionsvorsitzenden über die Regierungschefin des Koalitionspartners hat man in Berlin lange nicht gehört.

Dieser Angriff von Struck auf die Kanzlerin war kein Zufall – und nicht der erste. Bislang jedoch hatte sich der Fraktionschef auf fein ziselierte Formulierungen beschränkt, hinter denen er sich im Zweifelsfall verstecken konnte. Bei der Debatte über die Föderalismusreform hatte er für seine Fraktion ganz selbstverständlich Nachbesserungen gefordert. Dann wies er Merkels Formulierung vom „Sanierungsfall“ Deutschland mit der Bemerkung zurück, das sei nicht seine Wortwahl. Anschließend gab er in einem Zeitungsinterview zu Protokoll, dass ihm Schröder immer der liebere Kanzler wäre – und konterte die Proteste aus der Union mit der Frage, was er als Sozialdemokrat denn sonst antworten solle. Sechs Tage nach dieser Aufregung stand Struck schon wieder im Bundestag und verteidigte seine Haltung zur Föderalismusreform. „Ich bin dazu da, für meine Fraktion und für die Bürger zu arbeiten, nicht zum Gefallen oder Missfallen mancher Personen.“ Das war natürlich auf die Kanzlerin gemünzt. Damit das jeder verstand, zeigte der Fraktionschef, als er diesen harmlosen Satz aussprach, mit seiner rechten Hand zufällig zur Regierungsbank.

Struck ist ein alter Fuchs. Er genießt es, dass sie in der Union nicht so recht wissen, ob er raffiniert arbeitet und der Koalition die Mehrheit organisiert, oder ob er auf eigene Faust agiert, weil ihm das sozialdemokratische Seelenheil am Ende doch wichtiger ist. Struck kann offensiver auftreten als Müntefering, der Vizekanzler, und Beck, der neue, noch suchende Parteichef. Die Fraktion feiert ihn dafür, selbst die Linken sind voll des Lobes. Struck ist der Sozi der Stunde.

Darin sieht der Fraktionschef seine Aufgabe: seine Truppe zu stärken – und sie seelisch gleichzeitig zu entlasten. Das macht es ihm am Ende leichter, in der Fraktion Mehrheiten für die harten Kompromisse der Koalition zu organisieren. Dass er und die Kanzlerin keine Freunde mehr werden, nimmt er hin.

Mitte der Woche ist Struck mit dem Motorrad in den Urlaub gefahren. „Jetzt haben wir eine Weile Ruhe“, heißt es im Kanzleramt. Bis wann wohl?