Sensation Alltag

LEBENSKUNST Käthe Be war Bohemien, Schauspieler und Gesamtkunstwerk. Das Lichtblick-Kino erinnert mit einem Filmabend an den 2011 verstorbenen Mann ohne Haare

„Kunst ist das nicht, was ich hier mache, aber das wahre Leben ist es erst recht nicht“

KÄTHE BE

VON DETLEF KUHLBRODT

Auch nach Sonnenuntergang weicht im Sommer 1995 die Hitze kaum aus Mitte, und so verschaffen sich die Leute flanierend ein wenig Kühlung. Doch am Eingang der Hackeschen Höfe stocken die Passanten. Sie blicken durch ein Schaufenster in ein hell beleuchtetes Wohn- und Schlafzimmer. In knalligem Orange leuchten Telefon, Bettdecke, Plastikstühle und zwei Taucherflossen, die herumliegen. „Hier lebt einer inne Wohnung“, erklärt eine Frau ihrer Begleiterin. Sie betrachten mit Wohlgefallen den Aktionskünstler Käthe Be, der auf seinem Bett sitzt und in Briefen herumblättert.

Bei Käthe Be wird das Alltägliche zur Sensation. Wenn er sich in der Küche ein Brot schmiert, reagieren die Zuschauer so verzückt, als handle es sich um die Regungen eines besonders possierlichen Tierchens. Und wenn er unter der Dusche steht, kommt gar eine Art Begeisterung auf. Auf die Idee, öffentlich zu wohnen, sei er gekommen, als ihm seine Freundin erzählte, dass sie sich am wohlsten in ihrem fensterlosen Badezimmer fühle. „Das ist doch krank, dass man sich nur noch dort wohlfühlt, wo man nicht beobachtet wird“, findet Be. „Kunst ist das eigentlich nicht, was ich hier mache, aber das wahre Leben ist es erst recht nicht.“

Die Aktion war der größte Erfolg des Manns namens Käthe, der schon seit seiner Grundschulzeit so hieß, als er die anderen Kinder darum bat, ihn „Käthe“ zu nennen. So hieß die Heldin eines Kinderbuchs, das er liebte. Da lebte er noch in Hütten, einem Dörfchen bei Eckernförde, zusammen mit seiner Mutter, die eine Gastwirtschaft führte. Er machte seinen Wehrdienst, eine Lehre zum Elektriker, arbeitete eine Weile bei der AEG, und als er 1981 mit 21 nach Berlin ging, kam wohl das Be dazu.

Alle Welt wollte damals nach Berlin; man erzählte sich so einiges, und Käthe passte gut rein in diese Erzählung. Er sollte bald selber zu einem Kopf werden, der das wilde Westberlin repräsentierte. Ein kräftiger junger Glatzkopf mit blauen Augen im runden Gesicht und norddeutschem Humor.

Er war ein klassischer Berliner Bohemien des ausgehenden Jahrtausends; ein spartenloser Künstler, „ein Geschäftsmann ohne Firma, ein Gastwirt, der sich selbst der liebste Gast war“, wie der Tagesspiegel schrieb.

Er las im legendären Fischlabor seines Freundes, des späteren Tresor-Gründers Dimitri Hegemann, gerne aus seinem Adressbuch. Dort legte er auch regelmäßig Filmmusik auf. Er machte die Be Bar und vertrieb mit Flüssigkeit gefüllte Postkarten, die sich nicht nur in Techno-Berlin gut verkauften.

Der Bolle-Supermarkt nahm ihn aufs Werbeplakat. Eine Weile wurde er durch die Talkshows gereicht; unter dem Motto „In Käthe We Trust“ wurde 1986 der Käthe-Be-Fan-Club gegründet, dem auch Madonna und Paul Simon angehören. Bei den Senatswahlen 1989 forderten Plakate in den U-Bahn-Stationen zur Wahl von Käthe auf. Als es mit Westberlin zu Ende ging, wurde es schwieriger, sich Tag für Tag neu zu erfinden; Existenzängste schauten vorbei; da und dort heuerte Käthe kurzzeitig an; als Schauspieler, Setrunner usw.

Vier Jahre lang litt Käthe Be an einem Hirntumor. Gute Freunde kümmerten sich um ihn. „Wer sind Sie, dass bei Ihnen so viele schöne Frauen ein und aus gehen?“, soll einer der Ärzte gefragt haben. Am 16. Dezember 2011 starb Käthe Be in seinem Heimatdorf. Das Lichtblick-Kino gedenkt des Künstlers am Samstagabend mit einer kleinen Ausstellung im Foyer und einigen Filmen und Filmausschnitten. Fast irritierend, wie gleich sich der Künstler in den mehr als zwanzig Jahren seiner Karriere geblieben zu sein schien.

Kain Karawahns typisch Westberliner Undergroundfilm „In the Kitschen“ (1985) zeigt, wie Käthe bei einer Kunstaktion, „Smørrebrød, Smørrebrød“ murmelnd, durch eine Küche geht, während pornografische Kunstfotografien mit Eiern gebacken und später verbrannt werden. „Frühstück ist die beste Jahreszeit“ (1986), ebenfalls von seinem Freund Karawahn gedreht, beginnt mit einer morgendlichen Erektion, es gibt Essen, das eklig aussieht, einen Blick auf Käthes Anus, einen Zuckerwürfel, der in eine Möse geschoben wird, und Milsani-H-Milch von Aldi.

„Dokumentales Verpuffen“ (1992) dokumentiert eine Feuerperformance mit Karawahn auf der Documenta, wo Käthe Be auf eine beweglich montierte Punching-Ball-Videokamera auch noch einschlägt, als die schon längst am Boden liegt.

In diversen Ziegler-Produktion mit witzigen Titeln („Mutter muss weg“, „Verführung in sechs Gängen“ und andere) taucht er in kleinen Rollen auf; mal bei einer Tischszene, wo er sagt: „Ich hab dann irgendwann all meine Haare verloren, einfach so“, mal als Generalvikar, der die „deliziöse“ Torte lobt. Er war ein guter Schauspieler.

In einem schönen Interview von 1988 auf Tele 5 fragte ihn Norbert Hähnel, „der wahre Heino“, wie es komme, dass er „immer so scheiße“ aussehe. „Das hängt mit meiner inneren Einstellung zusammen“, antwortet Käthe Be, „und meine Einstellung ist eben so, wie ich aussehe.“

■ Ein Abend für Käthe Be. Samstag, 18. Januar, 20.15 Uhr im Lichtblick-Kino