Ist konservieren konservativ?

TEMPELHOF VOR ENTSCHEID

Selbst die Optimisten waren skeptisch, ob die Initiative 100 Prozent Tempelhof die nötigen rund 173.000 Unterschriften von wahlberechtigten Berlinern für einen Volksentscheid zusammenkriegen würde. „Interessiert das Feld irgendjemanden, der außerhalb der Innenstadt wohnt?“, fragten sie sich. Seit Anfang dieser Woche sind nur noch die Pessimisten skeptisch, dass es zum fünften Entscheid in Berlin kommen wird – diesmal über die Frage, ob der einstige Flugplatz unverändert und vor allem: unverbaut bleiben soll. 233.000 Unterschriften gingen bis Montagnacht bei der Landeswahlleiterin ein. Es müssten schon ausgesprochen viele ungültig sein, damit das nicht reicht.

Vor dem Entscheid stellt sich obige Frage erneut – und sogar verschärft. Denn beim Entscheid müssen mindestens 620.000 Berliner für ein freies Feld sein und obendrein eine Mehrheit der Abstimmenden. So will es das Gesetz. Um ein Viertel aller Wahlberechtigten von ihrem Anliegen zu überzeugen, muss die Initiative vermitteln, dass das Feld alle betrifft. Zumindest im übertragenen Sinne.

Eine Möglichkeit: Misstrauen schüren gegenüber dem Senat. Schon zuvor hatten die Feldfreunde wiederholt in Interviews betont, dass sie nichts von der Zusage von Bausenator Michael Müller (SPD) halten, dass der Innenraum des Feldes auf jeden Fall frei und frei zugänglich bleibe. Doch anders als etwa der Energie-Entscheid ist dieser keine Schwarz-Weiß-Angelegenheit, in der die parlamentarische Opposition geschlossen hinter der außerparlamentarischen steht. Diese Taktik wird nicht reichen für einen Erfolg.

Eine andere Möglichkeit: Die Frage der Freiräume thematisieren, der Brachen, die fast alle verschwunden sind, der Baulücken, die nach und nach geschlossen werden – für jeden spür- und sichtbar. Wie verdichtet muss die bebaute Fläche sein, wie viel Luft brauchen die Berliner zum Leben? Das ist nicht nur symbolisch gemeint. Doch interessiert das die Menschen, die in Reinickendorf, Köpenick oder Spandau jede Menge echte Natur fast vor der Nase haben?

Zum Glück ist Tempelhof auch ein Mythos und untrennbar verbunden mit der Luftbrücke. Etwas, was zumindest für viele alte Westberliner noch zählt. So könnte sich der linke Konservatismus – im wörtlichen Sinn und durchaus erfolgsversprechend – verbünden mit dem traditionellen CDU-Konservatismus des Westens, dessen Anhänger sowieso keine Sozialwohnungen brauchen. Und sogar eine Debatte darüber entzünden, ob Konservatismus in dieser Frage die fortschrittlichere, weil ökologischere Doktrin ist. BERT SCHULZ