Die Stunde der Wortgewaltigen

NRW-Ministerpräsident Rüttgers fordert die SPD auf, sich im Berliner Koalitionskrach am „Riemen zu reißen“. Sozialdemokraten reagieren mit Häme auf den neuen Merkel-Freund

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

Darauf hat Angela Merkel gerade noch gewartet. Ausgerechnet Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers hat sich nun im Streit um die Gesundheitsreform als oberster Verteidiger seiner CDU-Parteifreundin und Kanzlerin positioniert. Die SPD solle „sich am Riemen reißen“, sagte Rüttgers gestern im ZDF. Vor allem der Streit um die Gesundheitsreform müsse ein Ende haben, forderte er. „Die große Koalition muss Erfolg haben. Das macht man nicht, indem man anfängt rumzukeilen.“

Rüttgers meldet sich zum Ende einer Woche zur Wort, die sowohl für ihn als auch für die Kanzlerin wenig angenehm verlief. Während sich Rüttgers in Düsseldorf mit dem Großreinemachen im Intrigantenstadl seiner Staatskanzlei herumschlagen musste, hagelte es für die Kanzlerin Kritik für den mit der SPD getroffenen Gesundheitskompromiss. Führende Sozialdemokraten warfen ihr „Wortbruch“ vor, weil sie sich dem Widerstand der CDU-Ministerpräsidentenriege gebeugt und auf eine stärkere Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens verzichtet und statt dessen auf eine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge gesetzt hatte.

Dass sich nun gerade Rüttgers – bekanntermaßen kein Merkel-Intimus – mit der Kanzlerin verbrüdert, kommt überraschend. Hartz IV, Elterngeld, Kombilohn: In den vergangenen Wochen hatte Rüttgers‘ NRW-Koalition Merkel das Regieren mit unabgestimmten Vorstößen eher erschwert. Gegen die NRW-Stimmen wurde im Bundesrat die Mehrwertsteuererhöhung beschlossen.

Der SPD stößt der Kurswechsel von Rüttgers sauer auf: „Rüttgers hat seinen eigenen Laden in Düsseldorf nicht im Griff und flüchtet sich in die Bundespolitik“, sagt der Bochumer Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer. Inhaltlich habe Rüttgers dabei aber nichts anzubieten.

Metaphernreich empört reagierte auch die Landes-SPD: Von einem „Brandstifter, der sich als Feuerwehrmann aufspielt“, sprach der Parteivorsitzende Jochen Dieckmann. Rüttgers sei mitverantwortlich dafür, dass nun die Krankenkassenbeiträge steigen. Auch die SPD-Fraktionsvorsitzende Hannelore Kraft griff in die Wortspielkiste: „Wer in einem Glashaus wie dem Stadttor in Düsseldorf sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“, sagte sie.

Der Chef der CDU-NRW-Landesgruppe im Bundestag, Peter Hintze, war gestern nicht für eine Stellungnahme zu Rüttgers Angriffen auf den Berliner Koalitionspartner zu erreichen. Zuvor hatte allerdings der CDU-NRW-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach davor gewarnt, die großkoalitionäre Atmosphäre weiter zu vergiften.

Auch unter den 54 nordrhein-westfälischen SPD-Abgeordneten im Bundestag wächst der Frust: „Wir sind angefressen“, sagte Landesgruppenchef Rolf Stöckel zur taz. Die CDU habe Zusagen in der Gesundheitspolitik nicht eingehalten, bei der Kanzlerin könne man „Führungsschwäche“ vorwerfen, so der Parlamentarier aus dem Ruhrgebiet. Rüttgers‘ Intervention findet Stöckel „beliebig“. Der Kölner Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach rechnet damit, dass sich die Ministerpräsidenten nun öfter in die Berliner Politik einmischen: „Merkel hat einen Riesen-Strategiefehler gemacht. Sie hat gezeigt, dass sie sich einschüchtern lässt“, sagte er der taz. „Die Unions-Ministerpräsidenten werden das nutzen.“