Der tiefe Fall des türkischen Fußballs

2002 wurde die Türkei WM-Dritter. Man sah sich im Klub der großen Fußballnationen. Doch der Erfolg endete abrupt

Fatih Terim ist dieser Tage oft in Deutschland. Der Trainer der türkischen Fußball-Nationalmannschaft sitzt dann auf den Tribünen der WM-Stadien – und leidet. Verlieren ist nicht die Sache des Mannes, den sie in der Heimat „Imparator“ (Kaiser) nennen und der nun zusehen muss, wer am Samstag in Stuttgart im Spiel Deutschland gegen Portugal WM-Dritter werden wird und damit Nachfolger der noch vor vier Jahren so stolzen Türkei.

Der türkische Fußball, der sich nach dem Rausch in Japan und Südkorea auf Augenhöhe mit den großen Fußballnationen wähnte, ist tief gefallen. Aus einer vermeintlich goldenen Zukunft ist eine schändliche Vergangenheit geworden: Gescheitert gegen Lettland in der EM-Qualifikation 2004 und unter skandalösen Umständen an der Schweiz für die WM 2006.

Noch immer lecken sie die Wunden. Immerhin war es für die Fußballbegeisterten am Bosporus ein kleiner Trost, als die Fifa-Berufungskommission dieser Tage die Sanktionen gegen die Türken abmilderte. Nur noch drei Spiele müssen in der kommenden EM-Qualifikation unter Ausschluss der Öffentlichkeit und in einem Drittland ausgetragen werden. Aber selbst das konnte den Fußballblues nicht vertreiben. „Wir alle sind krank, weil unsere Mannschaft nicht an der WM teilnimmt, und die Umstände machen uns nur noch kränker“, sagt Dr. Deniz Gökce, Kolumnist der Zeitung Aksam.

Fast genau vor vier Jahren waren während der Übertragung der WM-Spiele die Cafés und Bars der 16-Millionen-Einwohner-Metropole Istanbul überfüllt, und nach Siegen der „Milli-Takim“ war die ganze Türkei ein einziger Autokorso. Derzeit sind die Cafés bei WM-Spielen fast leer. Kaum jemand schaut sich die Spiele an öffentlichen Orten an. „Die meisten Leute schauen allein zu Hause“, berichtet Ilker Ugur, Mitarbeiter beim türkischen Fußballverband. Fast scheint es so, als ignorierten die Türken das größte Ereignis ihres Lieblingssports. „Wir sind wie trotzige Kinder“, sagt Gökce. Die Kränkung, nicht dabei zu sein, sitzt tief. Die Fifa-Strafe, auch wenn sie für viele rational nachvollziehbar und nun abgemildert worden ist, verstärkt dennoch ein in der Türkei weit verbreitetes Gefühl: Die Welt will uns nicht.

Das Land befindet sich in einer kritischen Situation: Die EU-Euphorie ist verflogen, nationalistische Töne mehren sich, und der Fußballverband hat die Chance nach dem Schweiz-Desaster nicht zu einer Erneuerung genutzt. Nun soll ausgerechnet Fatih Terim, ein Mann martialischer Töne, den Umbruch bewältigen. Und mit Haluk Ulusöy wurde ein neuer Verbandspräsident gewählt, der in seiner ersten Amtszeit unter Korruptionsverdacht stand. Die Dinge gehen also weiter ihren gewohnten Gang, wenig durchschaubar, und alles bleibt vor allem eines: instabil. TOBIAS SCHÄCHTER