Drehen sich im alten Rad des Gansta-Rap und Punkrock: neue Alben von Alpa Gun und Herpes

Eben war noch Fußball. Und plötzlich gab es viele gute Gründe stolz zu sein, von denen einem sogar noch ein paar einfallen sollten. Alpa Gun wusste allerdings schon vor der Weltmeisterschaft in Südafrika, als er sein neues Album „Almanci“ aufnahm: „Sogar als Türke trage ich gerne ein Deutschlandtrikot“.

So viel Hellsicht ist ja durchaus bewundernswert. Dann allerdings setzt eher Erstaunen ein, wie altmodisch deutscher Hardcore-Rap heutzutage zu klingen vermag. Egal, ob Alpa Gun, der eigentlich Alpa Șahin heißt und dreißig Jahre alt ist, sich ernsthaft mit seinem Dasein als Deutschtürke auseinanderzusetzen versucht oder ob er die wohlbekannten Rapperposen einnimmt, alles wirkt geradezu erschreckend antiquiert. Alpa will „kämpfen wie ein Patriot“, verspricht er der Mehrheitsgesellschaft, und dass er „auch älter wird“ und „keine Kilos ticken“ will. Gleich anschließend wird dann wieder „Nachgeladen“, ein bisschen Gewalt verherrlicht und der eigene Aufstieg zum Superstar herbeigerappt. Dazu jubeln dann die Streichersamples und bollern tiefergelegt die bösen Beats, als wäre es noch 1992 und Dr. Dre hätte gerade Snoop Dogg auf der Straße in South Central L. A. aufgelesen. Weil nun aber Sound und Attitüde aus dem vergangenen Jahrtausend stammen, nützt Alpa Gun auch sein Alleinstellungsmerkmal nicht mehr viel: Der vergleichsweise reflektierte Umgang mit seinem, wie es politisch korrekt so heißt, migrantischen Hintergrund ist zwar meist gut versteckt hinter dem üblichen, als Battle-Rap getarnten Angebergequatsche, aber er ist vorhanden. Nur leider mag man nicht mehr zuhören, wenn so besinnungslos die ewig alten Gangsta-Rap-Klischees wiedergekäut werden.

Auch nicht eben ein völlig neues Rad erfinden Herpes. Sie gehen sogar noch ein paar Jahrzehnte weiter zurück, in die goldenen Zeiten des Punkrock. Für die zehn Songs auf ihrem Album „Das kommt vom Küssen“ benötigen sie kaum 23 Minuten, aber nicht nur das Tempo ist original importiert aus den späten Siebziger Jahren, sondern auch die Weltsicht bei dem Berliner Quintett. Die geht streng von unten nach oben und von links nach rechts, als seien solche klare Grenzziehungen heute noch praktikabel.

Zuerst werden „die Klos von Berlin“ erforscht, dann kommen die „Galeristen“ dran: Die bauen „eine neue deutsche Welle über die Spree“. Allerdings kultivieren Herpes nicht das Bild von der armen, aber sexy Hauptstadt, sondern, und das ist angesichts ihres jungenhaften Alters das Erstaunliche, eher das des angeranzten Berlin aus den Mauersongs der ehrwürdigen Ideal. Von denen könnte auch diese durchaus zentrale Frage stammen: „Ja, wie ist das so, den Verstand zu verlieren?“

Und spätestens, wenn in „An einem Sonntag im August“ an die Ausschreitungen gegen Ausländer erinnert und der gute alte Antifaschismus reaktiviert wird, ist man bereit, ein letztes, allerletztes Mal zu glauben, dass Punkrock nicht tot ist. Und der grassierende Partyotismus vielleicht doch nicht ganz so harmlos. THOMAS WINKLER

■ Alpa Gun: „Almanci“ (Urban/ Universal)

■ Herpes: „Das kommt vom Küssen“ (Tapete/Indigo)