Kambodscha ist weit weg

THEATER II Beim Themenwochenende „Staging Cambodia“ im HAU fremdeln Publikum und Performer

Zwei Fragen schwirren beim verlängerten Themenwochenende „Staging Cambodia“ im Hebbel-am-Ufer-Theater durch die Luft. Erstens: Stimmt der Titel? Kann man wirklich sagen, dass Kambodscha hier auf die Bühne gebracht wird? Und zweitens: Wie geht man damit um, wenn Publikum und Performer aus ganz verschiedenen kulturellen Kontexten kommen?

Eine Annäherung an Kambodscha hat noch Pioniercharakter. Von dem Genozid unter den Roten Khmer und dem anschließenden Bürgerkrieg erholt sich das Land erst seit wenigen Jahren. Nun versucht das HAU, sich in die aufkeimende kambodschanische Kunstszene zu zoomen. Vier Video- und Fotoarbeiten, ein Konzert und ein Gespräch – dieses Hallosagen als „Staging Cambodia“ zu vermarkten ist eine ganz schön hemdsärmelige PR-Taktik, hat aber wahrscheinlich auch etwas Selbstironisches.

Unfreiwillige Komik

Zwei teils ineinandergreifende Tendenzen stellen sich dar: Einerseits eine Wiederbelebung des jahrhundertealten künstlerischen Erbes, wozu in diesem Fall nicht die Architektur- und Bildhauerarbeiten der weltbekannten Tempelbauten zählen, sondern in erster Linie die darstellenden Künste. Andererseits der Versuch, im zeitgenössischen Kunstbetrieb Fuß zu fassen. Das Ergebnis ist in sei- ner Dürftigkeit traurig, einerseits künstlerisch, andererseits sozial.

In einem frontalunterrichtsmäßigen Konzert, das laut Programmheft für die erfolgreiche Wiederbelebung der 1960er-Jahre-Popmusik steht, wechseln sich unmusikalische, vordergründige Backgroundtänzerinnen mit schlechten Khmertanzeinlagen ab. Die Sängerin hübscht ihre charakterlosen Moves mit tai-chi-flowartigen Fingerspielen auf. Dabei ist der wunderbar verführerische Khmer-Tanz eigentlich mindestens so virtuos (und klischeeanfällig) wie das Ballett.

Das Konzert ist unter der Regie von Michael Laub entstanden und als Doppelveranstaltung mit einer Videofolge seiner „Portrait Series“ programmiert. In diesem schon mehrfach inszenierten Format beschäftigt sich der belgische Theatermacher damit, wie sich Menschen auf einer Bühne verhalten. In Zusammenarbeit mit einer kambodschanischen NGO hat er dieses Mal in der abgelegenen Provinzstadt Battambang gearbeitet.

Drei Dutzend Bewohner, darunter Künstler, alleinerziehende Mütter, Vergewaltigungsopfer, Sexarbeiterinnen, Kriegsopfer und Kinder, präsentieren sich nun in einer Nummernrevue vor der Kamera. Drei wahlweise Vorgaben scheint Laub seinen Darstellern gemacht zu haben: Erzähl etwas von dir; performe einen Ausschnitt aus deinem Leben pantomimisch; nimm einen irdenen Waschkrug und setze dich dazu in Beziehung.

So sieht man Menschen in rascher Folge beim Posen, Weinen, Unterhalten und Unsichersein zu. Für einige Protagonisten scheint die Kamera das einzige Gegenüber zu sein, dem sie ihren Schmerz von Kriegs- und Gewalterfahrungen zeigen können. Andere kommen aus dem Kunstbereich und präsentieren sich mit einer naiven Oberflächlichkeit, deren einziger Unterhaltungswert die ironische Distanz ist, die sie beim Betrachter erzeugen.

So entwickelt sich das Format zu einem unkonzentrierten Skurrilitäten-Kabinett, in dem man sich irgendwann fragen muss, ob Freiwilligkeit allein (und der im Programmheft erwähnte Sozialarbeiter) schon vor Vereinnahmung schützt. Irgendwie hat es – sorry, hier wird’s deftig – etwas vom Geschmack einer gut gemeinten Völkerschau, wenn „Staging Cambodia“ in diesem Fall heißt, dass Leute mit einer sehr begrenzten Anzahl von Perspektiven Leute in Theaterstühlen mit ihrer meist unfreiwilligen Tragik oder Komik unterhalten. Die Eintrittskarte beinhaltet zwar auch einen Zugang zu einem Kuratorengespräch, aber es ist eher der Dialog zwischen Präsentations- und Rezeptionshaltung, der hier fehlt. Den kann ein klassisches Erklärformat nicht decken. ASTRID KAMINSKI