Hinter der Sylvesterkapelle

In jedem Sommer zeigen Schauspielschüler der Bochumer Schauspielschule im Schlosspark Weitmar ein Shakespeare-Stück. Doch wie beim Wein sind längst nicht alle Jahrgänge auch genießbar

VON PETER ORTMANN

Ein böser Usurpator treibt sein Unwesen im Bochumer Schlosspark Weitmar. Friedrich hat seinen Bruder, den rechtmäßigen Herzog, in die Verbannung geschickt. Der hat sich in den Wald zurückgezogen. Treue Edelleute folgten ihm. Auch des Herzogs Tochter Rosalinde rennt da verstoßen rum, ein paar schmucke Burschen, tumbe Bauern, musizierende Narren. Am Ende finden sich gleich vier Paare zum Hochzeitsreigen – Shakespeare eben. Romantischer Komödienstadel auf höchstem Niveau: „Wie es euch gefällt“.

Leider kann man das über die Schauspieler im Schlosspark nicht sagen. Es spielt der dritte Jahrgang der berühmten Bochumer Schauspielschule, die Anfang des Jahrtausends an die Folkwang Hochschule in Essen verhökert wurde und seitdem viel von ihrer Ausstrahlung verloren hat. Wenn auch die ganze Welt eine Bühne sein soll – in diesem Jahr ist der Globe nur noch ein schnöder Wiesenhügel hinter der Ruine der Sylvesterkapelle, die jahrelang als natürliche Kulisse diente. Ihr Alter ist nicht bekannt. Sicher nur, dass sie 1780 an Friedrich von Berswordt-Wallrabe verkauft wurde, dessen Nachfahre sie heute noch besitzt. Doch benutzt werden kann sie nicht mehr. Sie wurde von der Stadt Bochum abgezäunt. Wurzeln von Birken und Eiben sprengen das Mauerwerk auf. Vom Turm der Kapelle stürzte im letzten Jahr bereits ein großer Stein.

Vorbei sind also die Zeiten, als ein junger Andreas Pietschmann glorios fechtend durch die Ruine rannte. Die heutigen Bochumer Jungschauspieler mussten zwischen Herzogs Hof (ein paar plastifizierte Heuballen) und dem Ardenner Wald über die olle Wiese robben. Und auch die Inszenierung lud nicht wirklich zum Bleiben ein. Alles wirkte hölzern, langweilig, ohne Engagement. Dieser von der Schauspielschule subjektiv ausgesuchte Jahrgang schmeckt nicht nach Beerenauslese, sondern nach Landwein. Ein Trend, der in den letzten Jahren zunimmt. Es sieht so aus, als ob die selbst ernannten Abschmecker der Schauspielerei viel zu häufig lieber nach dem Theater-Markt statt in Klaus Kinskis Richtung schauen.

Pietschmann, 1996 Absolvent der noch Westfälischen Schauspielschule zu Bochum und zuletzt am Hamburger Thalia Theater engagiert, hat das krude Verfahren, das von Söke Wortmann 1992 in seinem Film „Kleine Haie“ zu humorvoll porträtiert wurde, in einem Interview bestätigt: „Das ist ja ein insgesamt verächtlicher Prozess, mit dem wir es da zu tun haben. Wenn 1.000 Anwärter geprüft werden und zehn es am Ende schaffen, darf man nicht vergessen, dass es sich dabei um eine subjektive Entscheidung handelt. Es gibt in unserem Beruf keine objektiven Kriterien, keinen Numerus clausus oder irgendwelche auswertbaren Tests, welche die Qualität eines Schauspielers beziffern könnten“. Insofern sind nicht die Schauspieler auf dem neuen grünen Hügel in Bochum zu kritisieren, sondern eigentlich die Ausbildungs-Jury, die sie zum Studium zuließ. Es bleibt also nur warten auf das nächste Jahr, auf den neuen Jahrgang.