Die ultimative NRW-WM-Bilanz

NRW nach der Fußball-WM: Was hat es uns gebracht und warum bringt uns das nicht wirklich weiter. Elf Thesen über einen Wallach namens van Basten, Rolf Milsers Spaghettis und sorgenfreie Arminen

1. Jens Nowotny: Jetzt hat der alte Mann des Betriebssports doch noch sein WM-Debüt erleben dürfen. Schade nur, dass er auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft der Werkself aus Leverkusen den Rücken kehren wird. Nordrhein-Westfalen verliert einen weiteren großen Fußballer. Zurück bleiben die Vizemeistscherschaft 2001, das Champions-League Finale und der knapp verpasste Erfolg im DFB-Pokal im selben Jahr, sowie das unglückliche Ausscheiden in den EM-Vorrunden 2000 und 2004. Danke Jens!

2. Die Bahn: Sicherte sich große Sympathien dank eines Hattrick: Volle Züge, späte Züge, kaputte Züge. Zwischenzeitlich ging im Ruhrpott gar nichts mehr. In den Waggons des Transportunternehmens kam trotzdem WM-Stimmung auf: dank besoffenen Engländern und besoffeneren Australiern. Einen neuen Rekord im Drängeln und Schubsen stellten die japanischen Fans in Dortmund auf, als sie zu tausenden einen Sonderzug stürmten: Einer geht noch, einer geht noch rein!

3. Die Nachbarn: Die Niederländer haben mal wieder aufs falsche Pferd gesetzt. Schon nach dem Achtelfinale mussten die Oranje-Elf die Reise zurück über der grüne Grenze nach Hause antreten. Dabei fing alles so gut an. Am 18. Juni gewann der holländische Jockey Frans van der Blonk den mit 1.200 Euro dotierten Preis der NRZ--Lokalredaktion Dinslaken auf der dortigen Trabrennbahn. Der Name des siegreichen Wallachs: Van Basten.

4. Die Schweizer in Köln: Dass das FC-Köln-Publikum mit penetrantem „Viva-Colonia“-Gebrüll unsere ausländischen Gäste verschreckte, geschenkt. Zur Strafe schieden die mit den Kölner Absteigern Ricardo Cabanas und Marco Streller gespickten Schweizer im Achtelfinale ausgerechnet in Müngersdorf gegen die Ukraine aus. Cabanas und Streller verschossen jeweils einen Elfmeter. Darauf ein Kölsch!

5. Die Landesregierung: „Ohne die vielen Spieler aus NRW könnte Deutschland gar nicht Weltmeister werden. Die Hälfte der Nationalspieler kommt aus NRW“, sagte NRW-Teamchef Jürgen Rüttgers (CDU) zu Beginn der WM. Seine damalige Rechnung: Sieben von 23 Spielern stammen aus NRW, acht spielen für NRW-Clubs. Mehr als die Hälfte hatte also nordhrein-westfälisches Blut oder Boden unter den Füßen. Weltmeister sind sie trotzdem nicht geworden. Mal wieder bei der Integration versagt?

6. Gastfreundschaft I: Was hat Rolf Milser nur falsch gemacht? Der ehemalige Olympiasieger im Gewichtheben beherbergt das italienische Team im gleichnamigen Landhotel und dann ziehen die „Spaghettis“ (Danke Thomas Wark) alle ab – einschließlich des DFB-Teams. Den Halbfinalsieg feierten die Italiener in der „Totti-Suite“ mit einer „italienischen Nacht“. Und es geht weiter. Nach dem Finale gestern Abend in Berlin (nach Redaktionsschluss) kehrte das Team wieder nach Duisburg zurück. „Vor der WM habe ich im Spaß gesagt: Wer zu uns kommt, wird Weltmeister“, sagte Milser zu Beginn der WM. Die Brasilianer sollen dankend abgelehnt haben.

7. Gastfreundschaft II: Wesentlich besser machten es die Gemeinden Billerbeck (Münsterland) und Niederkassel (Rheinland). Schon am 20. Juni checkte das Team Serbien-Monternegro im Billerbecker Hotel Weißenburg aus. Die Balkankicker waren die ersten, die das Fußballland fluchtartig verließen. „Wir haben mit ihnen gelebt und gelitten. Wenn sie im Wald spazieren gingen und mit hochroten Köpfen wiederkamen, wusste man, was los war“, sagte eine Mitarbeiterin des Hotels. Einen Tag später sagte die Mannschaft der Elfenbeinküste dem Hotel Clostermanns Hof in Niederkassel bye bye. Auftrag erfüllt.

8. Arminia Bielefeld: Gute Nachricht für die Ostwestfalen. Keine Negativerlebnisse und/oder Verletzungen für Almkicker bei der WM. Es war allerdings auch kein Arminenspieler für das Turnier nominiert.

9. Staatskanzlei: Während auf den Fanmeilen zwischen Vreden und Vlotho schwarzrotgolden-unverkrampftpatriotisch durchgefeiert wurde, fand in Düsseldorf eine Nacht der langen Messer statt. In der NRW-Regierungszentrale wurden – durchtrieben: am Tag nach dem deutschen Ausscheiden – wichtige Spieler aus- und durchgewechselt. Fall für Verschwörungstheoretiker.

10. Pfeifen: Seit der Einführung des Fairplaywahns durch die FIFA in den 80ern ist der Fußball immer unfairer geworden. Vorher gab es ab und zu ein böses Foul, heute Ellbogenwischer, Diver und sonstige Peinlichkeiten im Minutentakt. Kommentar von Schiri-Legende Wolf-Dieter Ahlenfelder (Oberhausen): „Die WM ist gründlich verpfiffen, und daran trägt vor allem der Herr Blatter die Schuld. Der hat an alle den Oberbefehl erlassen, für jeden Wimpernschlag die Gelbe Karte zu zeigen.“

11. Dortmund: Was ist das Westfalenstadion denn nun? Das „Wohnzimmer“ des neuen deutschen Offensivfußballs oder die Kellerwohnung einer im eigenen Land bereits im Halbfinale gescheiterten DFB-Elf? Auf lange Sicht wird die BVB-Signaliduna-Park-Arena wohl für eine der bittersten Niederlagen der Länderspielgeschichte stehen und sich einreihen in eine Galerie der DFB-Unglücksstadien (siehe Volksparkstadion 1988, Bernabeu 1982, Azteca 1986).

HOLGER PAULER,
MARTIN TEIGELER