Linkes Weserufer lockt die Linke

Das Viertel als Szene-Standort hat endgültig ausgedient. Dieser Tage eröffnen zwei weitere selbst organisierte Stadtteilzentren in der Neustadt, die mit Staats-Knete nichts zu tun haben wollen

„Es ist kein Zufall, dass sich die linke Szene aus dem Viertel verzogen hat“

von Christian Jakob

Dem Fußball wurde erfolgreich getrotzt. Zeitgleich mit dem vorletzten WM-Spiel am Samstag – mit deutscher Beteiligung – eröffnete in der Neustadt das Stadtteilzentrum „K108“ in der Kornstraße. Dennoch erschienen mehrere Hundert Gäste – „viel mehr, als wir erwartet haben“, sagt Niels Kalin, einer der Organisatoren.

Die Idee, ein Stadtteilzentrum zu gründen sei vor gut einem Jahr innerhalb einiger sozialpolitischer Gruppen entstanden, erzählt Kalin. Im Winter habe man das Lokal in der Kornstraße angemietet, im Frühjahr mit der Renovierung begonnen. Ein Café im eigentlichen Sinne sei das „K108“ aber nicht, sagt Kalin. Es gebe keinen reinen Cafébetrieb mit geregelten Öffnungszeiten. Stattdessen sollen soziale Initiativen das Zentrum beleben. Schon seit April läuft der Probebetrieb: Hausaufgabenhilfe, eine Hartz-IV-Initiative und eine Ein-Euro-Job AG nutzen das „K108“. Dazu kommen ein „Umsonstladen“ und ein Frauenfrühstück. Geplant ist außerdem ein Deutschkurs für Migranten und Migrantinnen.

Rund 30 Personen seien an dem Projekt beteiligt, etwa ein Drittel von ihnen kümmere sich um die Organisation, so Kalin. Die meisten AktivistInnen sind einem Trägerverein beigetreten. Über dessen Mitgliedsbeiträge wird die Miete für den Laden finanziert. Staatliche Förderung habe man ganz bewusst nicht beantragt, sagt Kalin. Nur so könne man unabhängige Stadtteilpolitik „von unten“ machen.

Zwei Straßen weiter, in der Lahnstraße entsteht mit dem „Kurzschluss“ ein ganz ähnlicher Ort. Noch wird renoviert, die Eröffnung steht am kommenden Wochenende an. Das Konzept gleicht dem des „K108“, ein Trägerverein zahlt die Miete. Etwa 15 Personen arbeiten mit am Café-Projekt, erzählt Regina Rahe. Keine Angst, man könne sich gegenseitig Konkurrenz machen? „Nein“, sagt Rahe. Dass im Stadtteil an zwei sehr ähnlichen Projekten gearbeitet werde, sei beiden Gruppen von Anfang an bekannt gewesen. Ein Problem kann sie darin nicht erkennen. „Mit steigendem kulturellem und politischen Angebot in der Neustadt wird auch die Nachfrage steigen“, glaubt sie. Man wolle die Gäste des Cafés schließlich motivieren, nicht nur zu konsumieren, sondern mitzumachen. Im Übrigen arbeite man eng zusammen. „Vernetzung ist uns wichtig, mit dem K108 und den anderen Projekten im Stadtteil“, sagt Rahe.

Im Gegensatz zum „K108“, soll das „Kurzschluss“ allerdings stärkeren Café-Charakter haben, inklusive geregelter Öffnungszeiten. Neben Konzerten und Ausstellungen soll es aber auch hier politische Veranstaltungen geben.

Mit diesen beiden Neueröffnungen gibt es ab der kommenden Woche in der Bremer Neustadt sechs selbst organisierte Treffpunkte, die explizit auf staatliche Finanzierung verzichten. Im vermeintlichen Alternativ-Stadtteil Steintor/Ostertor sind es nur vier – und die existieren bereits seit Jahren, gehören quasi schon zum Viertel-Establishment. Ist die Orientierung von Sozialinitiativen auf andere Stadtteile Ergebnis der stadtplanerischen „Aufwertung“, vor allem im Ostertor? Der Leiter des Ortsamtes Mitte/Östliche Vorstadt, „Viertel-Bürgermeister“ Robert Bücking, hat keine Sorge, dass das Viertel zur reinen Shopping- und Coffeeshop-Meile mutiert und die Szene in die Neustadt abwandert. „Zwei neue Projekte sind doch noch nicht so schlimm“, witzelt er.

Im „K108“ sieht man eher pragmatische Gründe für die Standortwahl. „Die meisten von uns wohnen in der Neustadt“, sagt Niels Kalin. „Es lag nahe, so ein Projekt im eigenen Stadtteil anzusiedeln.“ Im Fall des „Kurzschluss“ sei die Sache ähnlich, sagt Regina Rahe. Das käme aber nicht von ungefähr. „Viele Leute, die Interesse an solchen Projekte haben, haben sich nach und nach aus dem Viertel verzogen. Ein Zufall ist das nicht.“