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„Wer zu mir kommt, sucht Hoffnung“

Oliver Gralla

„Für die Spermaabgabe haben wir den so genannten ‚Tempel der Lüste‘, einen Spenderaum mit einschlägiger Literatur. Leider verschwinden die Hefte ständig und müssen ersetzt werden“

Dass er einmal Arzt werden würde, war früh klar: Schon mit 15 Jahren half er seinem Vater in den Schulferien im OP des Recklinghauser Krankenhauses. Im Medizinstudium entschied sich Oliver Gralla für einen entspannteren Fachbereich als die Chirurgie. In der Urologischen Poliklinik der Charité widmet sich der 33-Jährige, der im letzten Abschnitt seiner Facharztausbildung steckt, der Bevölkerungsvermehrung: In seiner Spezialsprechstunde empfängt er jeden Mittwoch Patienten mit unerfülltem Kinderwunsch. Gralla, den seine Medizinerkollegen gern mit dem Spitznamen „Sperminator“ aufziehen, hat selbst „noch keinen akuten“ Kinderwunsch. Er arbeitet eher unbewusst an der Optimierung seiner Fruchtbarkeit: Nach einer rigorosen Ernährungsumstellung verlor er 37 Kilogramm.

INTERVIEW NINA APIN

taz: Herr Gralla, haben Sie schon mal daran gezweifelt, dass es erstrebenswert ist, überhaupt Kinder in die Welt zu setzen?

Oliver Gralla: Nein, ganz und gar nicht. Ich habe selbst vier Geschwister und finde es völlig normal und legitim, Kinder zu wollen. Ich bin aber ohnehin kein Mensch, der sich in pessimistischen Weltuntergangsfantasien oder philosophischen Grundfragen versenkt.

Sie sind also Optimist?

Absolut, ich bin mit mir und meinem Leben sehr zufrieden. Ich habe einen wunderbaren Beruf, mache Sport und habe viele Freunde. Meine Zuversicht versuche ich auf meine Patienten zu übertragen. Die kommen schließlich zu mir, weil sie Hoffnung suchen.

Wer kommt zu Ihnen?

Die meisten Patienten sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Darunter sind Arbeitslose, Bauarbeiter, Journalisten und Banker, der Kinderwunsch zieht sich quer durch alle Berufsgruppen und Kulturen.

Von der Gebärverweigerung junger Akademiker beobachten Sie also nichts?

Meine Sprechstunde ist seit fünf Jahren gleichbleibend voll und weniger Akademiker sind es bestimmt nicht geworden. Aber ich bekomme ja nur die Paare mit, bei denen es am Mann liegt, wenn es mit dem Kind nicht klappt. Das sind etwa 25 Prozent aller Fälle.

Was haben die Leute schon alles versucht, wenn sie in Ihre Sprechstunde kommen?

Manche wollen nur mal gucken, ob sie zeugungsfähig sind oder nicht, ohne akuten Kinderwunsch. Aber oft wird die Frau schon parallel in der Gynäkologie behandelt. Diese Paare haben oft Monate oder Jahre versucht, Nachwuchs zu bekommen, und stehen unter enormem Druck.

Wie äußert sich dieser Druck?

Das Warten auf die Schwangerschaft zerrt an den Nerven und kann zu regelrechten psychischen Blockaden führen. Ein Beispiel: Ein Paar versuchte jahrelang alles, von der Hormontherapie bis zur künstlichen Befruchtung – ohne Erfolg. Aber sobald sie die Hoffnung endgültig aufgaben, wurde die Frau sofort schwanger.

Gehen Beziehungen manchmal an diesem Stress kaputt?

Ja, das passiert. Aber manchmal merkt man auch, dass das eigentliche Problem gar nicht die Unfruchtbarkeit ist, sondern die Beziehung selbst: Um eine kaputte Beziehung zu kitten, ist ein Kind nicht unbedingt das richtige Mittel. Aber es ist nicht meine Aufgabe, in die Lebensplanung der Paare einzugreifen. Ich verstehe mich eher als Arzt, weniger als Psychologe.

Aber einen guten Rat geben Sie schon manchmal?

Ja, gerade wenn nicht ganz ungefährliche Operationen anstehen, sollten sich Paare klar werden, wie weit sie für den Kinderwunsch gehen wollen. Bei der Erstberatung sind meist die Frauen dabei. Das finde ich gut, aber ich versuche immer auch einzeln zu klären, ob der Mann wirklich voll hinter dem Kinderwunsch steht, oder es nur aus Liebe zu seiner Partnerin macht. Oft ist der Kinderwunsch bei den Frauen stärker.

Die Zeugungsfähigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil von Männlichkeit. Wie sehr kratzen Ihre Diagnosen am Selbstwertgefühl Ihrer Patienten?

Das ist ein sehr sensibler Bereich für alle Männer. Die Diagnose „Unfruchtbarkeit“ geht vielen ganz schön an die Nieren. Gerade wenn sie vorher nicht einmal in Erwägung gezogen haben, dass es überhaupt an ihnen liegen könnte.

Gab es da schon Zusammenbrüche?

Wenn so ein gesunder, gut aussehender, im Leben stehender junger Mann erfährt, dass er zeugungsunfähig ist, ist das natürlich bitter. Aber mehr als feuchte Augen hat es in meiner Sprechstunde noch nicht gegeben, vor mir reißen sich die Männer zusammen.

Haben Sie schon Paaren davon abgeraten, Kinder zu bekommen?

Ich rede grundsätzlich niemandem seinen Kinderwunsch aus. Allein Alter und Lebensumstände der Patienten bestimmen, ob man alle zur Verfügung stehenden Mittel ausreizt oder nicht. Wenn bei einer bestimmten genetischen Disposition das Risiko besteht, dass ein Kind an einer schweren Krankheit mit schlechten Überlebenschancen leiden wird, rate ich zu einem zusätzlichen Termin beim Genetiker. Und einen 43-jährigen Mann mit 38-jähriger Partnerin würde ich nicht einer zweijährigen spermiogrammverbessernden Behandlung unterziehen, dazu ist die Zeit zu kostbar. Da würde ich gleich die künstliche Befruchtung anstreben.

Was ist ein Spermiogramm?

Das Spermiogramm misst die Dichte von Spermien im Ejakulat, die Morphologie, also die Gestalt und die Beweglichkeit. Hat ein Patient zu wenige, falsch geformte oder träge Spermien, sinken die Befruchtungschancen. Für die Spermaabgabe haben wir den so genannten „Tempel der Lüste“, einen Spenderaum mit einschlägiger Literatur. Leider verschwinden die Hefte ständig und müssen ersetzt werden. Eine Labormitarbeiterin schaut sich das Sperma dann unter dem Mikroskop an und zählt.

Sie zählt die Spermien tatsächlich einzeln?

Das wird hochgerechnet von winzigen Mengen. 20 Millionen Spermien pro Milliliter sind der Normalfall, den kann man dann durch Hormonbehandlung oder Medikamente anstreben. Es gibt zwar auch schnellere, computergestützte Methoden, aber die sind ungenauer. Unsere Spermiogramme werden in einer aufwändigen vierstündigen Prozedur von einer erfahrenen Laborkraft durchgeführt und sind hervorragend.

Stimmt es denn, dass sich die Spermienqualität der Männer in Industrieländern zunehmend verschlechtert?

Leider ja. Das liegt vor allem an schädlichen Umwelteinflüssen und am Stress, auch an Gefäßveränderungen. Aber es gibt auch viele Arten, sich sein Spermiogramm selbst kaputtzumachen: vitaminarme Ernährung, Alkohol, Drogen und Hitze.

Zu enge Hosen?

Dieser Zusammenhang wurde nie wissenschaftlich erwiesen. Aber extreme Hitze an den Hoden schädigt tatsächlich die Spermien. Ich hatte mal einen Patienten, der fünfmal am Tag heiß badete. Seine Spermien waren alle tot, er hatte sie buchstäblich weggekocht. Als seine Frau den Raum verließ, gestand er, dass er eine Geschlechtskrankheit hatte und sich nicht zum Arzt traute. Gut, dass er wegen der Unfruchtbarkeit zu mir kam. Ich verschrieb ihm ein Antibiotikum und striktes Badeverbot und wenige Monate später war er schwanger!

Seine Frau war schwanger, meinen Sie wohl?!

Na ja, es sind meine Patienten, da identifiziert man sich eben. Die Babyfotos und Dankesbriefe bekommt meist die Gynäkologie. Aber zu mir kommt manchmal jemand und sagt: „Sie haben schon meinem Bruder geholfen, bitte machen Sie mir jetzt auch ein Kind.“ Das sind schöne Momente. Dass mich Freunde den „Storch von Mitte“ nennen, macht mich schon ein bisschen stolz.

Was ist das Schönste an Ihrem Job?

Die männliche Unfruchtbarkeit ist eine kleine, spannende Nische in der Urologie. Es weckt meinen beruflichen Ehrgeiz, dass es in diesem Bereich noch relativ viel Unerforschtes gibt: In 30 bis 40 Prozent der Fälle kann die Ursachen für Unfruchtbarkeit nicht eindeutig geklärt werden. Das ist nicht nur für die Patienten unbefriedigend, sondern auch für mich als Arzt. In der Kinderwunsch-Sprechstunde habe ich genug Zeit, mich intensiv den einzelnen Patienten zu widmen, oft gehört dazu auch etwas Lebensberatung.

„Die Diagnose ‚Unfruchtbarkeit‘ geht vielen Männern ganz schön an die Nieren. Gerade wenn sie vorher nicht einmal in Erwägung gezogen haben, dass es überhaupt an ihnen liegen könnte“

Glauben Sie eigentlich an Schicksal?

Was heißt schon Schicksal? Ich glaube, dass allem eine medizinische Ursache zugrunde liegt. Etwa 3.000 Gene sind für die Fortpflanzung zuständig, wenn da nur eines minimal verändert ist, kann das schon zur Zeugungsunfähigkeit führen. Das ist nicht geheimnisvoll, sondern einfach noch nicht ganz erforscht.

Wie weit gehen denn die Grenzen der Therapie? Ab wann kann man nichts mehr machen?

Als Urologe habe ich ein ganzes Arsenal diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten zur Verfügung: genetische Untersuchung, Hodenoperation, Hormontherapie. Aber manchmal hilft alles nichts, besonders wenn ein genetischer Defekt vorliegt. Dann muss man einfach die Waffen strecken und dem Patienten sagen: „Sie sind definitiv nicht zeugungsfähig.“ Vor diesem Moment graut mir immer.

Wie reagieren die Patienten, wenn sie wissen, dass sie niemals Väter werden können?

Bitter ist es für alle, viele geben den Kinderwunsch ganz auf, einige versuchen es mit einer Fremdspende oder einer Adoption. Manche reagieren auch erstaunlich entspannt. Einer sagte mal: „Na gut, dann kaufen wir uns eben einen Hund.“

In wie viel Prozent der Fälle können Sie überhaupt helfen?

In konkrete Zahlen lässt sich das schwer fassen, dazu hängt der Erfolg viel zu sehr von individuellen Voraussetzungen ab. Alle Patienten, die zu mir kommen, brauchen viel Optimismus und Geduld. Ob eine medikamentöse Behandlung überhaupt anschlägt, wird oft erst nach sechs bis neun Monaten sichtbar. Und ein verbessertes Spermiogramm muss auch nicht gleich zu einer natürlichen Schwangerschaft führen. Das sind keine berauschenden Erfolgsaussichten, dafür zahlt es aber die Kasse. Eine künstliche Befruchtung verspricht bessere Chancen, ist aber wesentlich teurer.

Die Chance auf Nachwuchs ist demnach auch eine soziale Frage?

Leider ja: Seit 2004 übernehmen die Kassen nur noch die Hälfte der Kosten bei verheirateten Paaren. Alle anderen zahlen voll, da ist man schnell im vierstelligen Bereich – ohne Erfolgsgarantie natürlich.

Sie sind jetzt 33, wie sieht es mit Ihrem eigenen Kinderwunsch aus?

Natürlich habe ich schon öfter mal drüber nachgedacht, selbst ein Spermiogramm zu machen – um zu wissen, wo ich stehe. Nachdem ich weiß, wie viel bei objektiv gesunden Männern im Argen liegen kann, habe ich nicht so ein Gottvertrauen in meine eigene Zeugungskraft wie die meisten Männer. Aber das mache ich erst, wenn aus meinem eher abstrakten Kinderwunsch ein konkreter geworden ist.

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