Der Mariannenplatz war bunt

Die Straßenfußball-WM in Kreuzberg war mehr als nur ein Sportereignis. Die Mannschaften aus aller Welt zeigten schönen Kombinationsfußball, aber auch, wie Völkerverständigung und Politik spielerisch funktionieren. Der Weltmeister heißt Kenia

VON JOHANNES KOPP

Rolf Töpperwien hatte eine wesentliche Idee der Veranstaltung einfach nicht verstanden. Der ZDF-Sportreporter war nach Berlin eingeladen worden, um die Halbfinals der ersten Straßenfußball-WM für die 2.200 Zuschauer in Kreuzberg zu kommentieren. Doch bei der Begegnung Senegal gegen Südafrika übernahm er bereits nach kurzer Zeit die Rolle des fehlenden Schiedsrichters. „Das war klar ein sauberes Tor. Ich weiß gar nicht, was es da zu diskutieren gibt“, monierte er.

Die zehn Spieler auf dem Feld debattierten gerade eine strittige Szene. So sahen es die Regeln des streetfootballworld-Festivals vor, das am Wochenende endete und den Mariannenplatz eine Woche lang belebt hatte. Bei Problemfällen sollten sich die 22 Teams aus aller Welt untereinander einigen. Nur selten griffen unabhängige „Teamer“ beratend ein.

Dahinter steckte die Idee, auf dem 15 x 25 Meter großen Kunstrasenplatz Konflikte selbstbestimmt und friedlich zu lösen – der Fußball bekam eine politische Dimension. Bei Töpperwien kam dieser Gedanke bis zum Schluss nicht an. Er nörgelte hörbar genervt: „Ein Spiel ohne Schiedsrichter, das habe ich in meinen 33 Berufsjahren noch nicht erlebt.“ Gewiss verlangte diese Regelung nicht nur Töpperwien, sondern auch den Zuschauern viel Geduld ab. Bei den Halbfinals ging es recht hart zur Sache. Strittige Szenen häuften sich, was einige längere Unterbrechungen zur Folge hatte.

Fair, schnell, schön

Doch ausgerechnet das Finale zwischen Südafrika und Kenia versöhnte für zuvor gesehene Ruppig- und Zwistigkeiten. Obwohl es um den Weltmeistertitel ging, spielten die Teams einen fairen, schnellen und schönen Kombinationsfußball. Spannend war es zudem. Nach Ende der Spielzeit stand es 2:2, erst im Elfmeterschießen gewann das Team aus Kenia mit 4:3.

Sieger und Besiegte klatschten danach gemeinsam im Stakkato zur Musik. Nun kam der Festivalcharakter der Veranstaltung zum Tragen. Alle 22 Teams versammelten sich zur Siegerehrung auf dem Platz, und zum Schluss wollte jeder jeden umarmen. Ein zeitaufwändiges Unternehmen bei etwa 200 Fußballern. Die Organisatoren mussten nach 20 Minuten den Herzlichkeiten Einhalt gebieten. Schließlich galt es noch, Kenia den Pokal auszuhändigen.

Die große Aufmerksamkeit, die dem afrikanischen Team zuteil wurde, war für deren Vertreter nichts Ungewöhnliches. In den Jahren 2003 und 2004 wurde das Fußballprojekt aus Nairobi jeweils für den Friedensnobelpreis nominiert. 17.000 Kenianer aus 16 Slums nehmen daran teil. Nicht nur Siege werden in dem Projekt mit Punkten prämiert, sondern auch das Einsammeln von Müll oder der Bau von Abwässerkanälen. In Berlin mussten sich die acht Repräsentanten nur auf das Fußballspielen konzentrieren. Das taten sie mit Bravour und wurden dafür von den Zuschauern enthusiastisch gefeiert.

Von den 80 Projekten, die dem weltweiten Netzwerk streetfootballworld angehören, waren bei der ersten Straßenfußball-WM 22 vertreten. Ihnen gemein ist, dass sie Fußball als Mittel gegen Gewalt und Armut oder als Brücke zwischen verschiedenen Kulturen einsetzen, um Toleranz und Völkerverständigung zu fördern. Den zwischen 16 und 21 Jahren alten Teilnehmern wurde in Berlin allerdings eine Bühne geboten, die mit dem Straßenfußball in ihren Heimatländern wenig zu tun haben dürfte.

Auf dem Mariannenplatz hatte man aus Stahlgerüsten ein Stadion für 2.200 Zuschauer erbaut, dessen Konstruktion an die Architektur des argentinischen Hexenkessels in Buenos Aires erinnert. Auf diese Weise sollte südamerikanische Stimmung begünstigt werden. Im Stadion fanden sich allerlei Prominente ein: Fifa-Präsident Joseph Blatter sowie Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eröffneten die WM. Boris Becker, Vitali und Wladimir Klitschko, Edwin Moses und viele mehr sorgten später für öffentliches Aufsehen. Im Laufe der Woche hatten sich etwa 800 Journalisten akkreditiert.

Gert Potgieter, der Projektmanager des Finalteilnehmers Südafrika, lobte die „fantastische“ Organisation des Turniers, gab aber auch zu bedenken, dass es aufgrund der professionellen Rahmenbedingungen auf dem Spielfeld sehr ernst zugegangen sei. Er empfahl: „Man sollte den Straßenfußball wieder mehr an die Basis zurückführen.“

Jürgen Griesbeck, der Hauptorganisator des Festivals, will beides: Sowohl die Unterstützung von der Basis als auch die maximale öffentliche Aufmerksamkeit für die Straßenprojekte. So bedauerte er, dass sich die Kreuzberger nicht so recht für das Turnier begeistern ließen. Unter der Woche waren die Ränge meist nur zur Hälfte besetzt. Andererseits freute er sich über das immense Medieninteresse. Die Bundesregierung, der DFB, und die Fifa, die großen Finanziers der Veranstaltung, gaben wahrscheinlich auch deshalb bei ihm äußerst zufriedene Rückmeldungen über den Verlauf des Festivals ab.

Kaum Kritik an Ausladung

Griesbeck will die mächtigen Organisationen für sein soziales Engagement einbinden und nutzen. Einstellungen wie „die blöde Bundesregierung“ und „die korrupte Fifa“ würden einem wenig weiterhelfen, erklärt Griesbeck. Er will keine Alternativkultur aufbauen. In der engen Anlehnung an die Mächtigen beraubt man sich jedoch auch der Möglichkeit der Kritik. Als der Hauptsponsor der Straßen-WM, die Bundesregierung, den geladenen Teams aus Ghana und Nigeria keine Visa ausstellte, übte man sich beim Netzwerk streetfootballworld in Sanftmut. „Schade“ war zu hören, viel mehr aber auch nicht.