Wieder am Schweben

TENNIS Nach einem wenig erfolgreichen Jahr überzeugt der Schweizer Roger Federer bei den Australian Open gegen Jo-Wilfried Tsonga. Im Viertelfinale trifft er auf Andy Murray

Allerdings findet Federer auch, auf der großen Bühne eines Grand-Slam-Turniers habe er länger keinen solchen Auftritt mehr hingelegt

AUS MELBOURNE DORIS HENKEL

So ist das, jemanden wiederzutreffen, den man sehr mag und den man eine Weile nicht gesehen hat; der Anblick wärmt das Herz. Jener Roger Federer, der Montagabend in Melbourne in drei fast makellosen Sätzen gegen Jo-Wilfried Tsonga gewann (6:3, 7:5, 6:4), war der Federer aus glorreichen Tagen. Er bewegte sich so leichtfüßig wie zu seiner besten Zeit – in manchen Momenten schien er zu schweben –, die Eleganz seiner Schläge erinnerte an früher, und bisweilen war es sogar mehr als das. Seine Erfolgsquote am Netz ähnelte alten Beispielen seines neuen Coachs Stefan Edberg, und die Variationen seiner Rückhandschläge kamen einem vor wie der Auftritt eines Orchesters.

Tja, der alte Federer. Der immer wieder mit der Frage konfrontiert wird, ob er es noch draufhabe, die Jungs an der Spitze herauszufordern. Der seit seinem Sieg vor anderthalb Jahren in Wimbledon keinen Grand-Slam-Titel mehr gewann, der 2013 kein einziges Finale bei einem der großen vier Turniere erreichte und kein einziges Spiel gegen einen der großen Konkurrenten gewann – nicht gegen Rafael Nadal, nicht gegen Novak Djokovic und auch nicht gegen Andy Murray. Einmal verlor er im vergangenen Jahr auch gegen Tsonga, im Viertelfinale der French Open, aber diesmal lief von Anfang an alles nach seinem Wunsch. Voller Zuversicht ging er ins Spiel, nahm dem Franzosen gleich dessen erstes Aufschlagspiel ab, auf diese Weise schuf er sich eine Zone des Komforts, und so ging es zwei schöne Stunden lang weiter. Kurz vor dem Ende wurde es vorübergehend knifflig, als Tsonga drei Breakbälle abwehrte und danach selbst einen herausspielte, aber die Flamme loderte nur kurz.

Federer gab zu, es sei schon eine Weile her, dass er sich von Anfang bis Ende derart gut in einem Spiel gefühlt habe, aber die Lobesarien für seinen Auftritt fand er dennoch übertrieben. Er habe auch 2013 manchmal sehr gut gespielt, meinte er, aber die Leute sähen ja viele Partien bei kleineren Turnieren nicht und könnten das deshalb vielleicht nicht richtig einschätzen. Allerdings findet er auch, auf der großen Bühne eines Grand-Slam-Turniers gegen einen hochklassigen Konkurrenten wie Tsonga habe er länger keinen solchen Auftritt mehr hingelegt.

Die Konstellation fürs nächste Spiel könnte nun kaum interessanter sein; Mittwoch wird er die frische Form im Viertelfinale gegen Andy Murray testen können. Der Schotte hatte kaum Gelegenheit, mehr als nur ein paar kurze Blicke auf Federers Demonstration zu werfen; er war nach seinem Sieg gegen den französischen Außenseiter Stéphane Robert (6:1, 6:2, 6:7, 6:2) noch mit Pflichtaufgaben beschäftigt, als der Konkurrent spielte.

Zu seiner eigenen Situation meinte Murray, natürlich seien seine Erwartungen nach der Rückenoperation im vergangenen Jahr nicht dieselben, die sie ohne die Pause von vier Monaten gewesen wären, aber einstweilen sei er zufrieden mit dem Stand der Dinge. Und zu Federers derzeitigem Leistungsstand sagt er: „Wenn er richtig fit ist, dann hat er immer Chancen, weil er einfach so gut ist.“

Murray gewann drei der letzten fünf Begegnungen mit Federer. Sie freuen sich beide auf die Begegnung, Murray vor allem deshalb, weil er sich gern an den Sieg vom vergangenen Jahr im olympischen Tennisturnier erinnert. Aber Federer scheint bestens vorbereitet zu sein. Zur Frage, ob er mit dem Flug gegen Tsonga ein paar der Zweifel losgeworden sei, die ihn zuletzt begleitet hätten, meinte er: „Für mich ist das erledigt; ich hab keine Zweifel mehr. Ich weiß, dass ich definitiv in der richtigen Richtung unterwegs bin. Ich hätte nicht härter in der Pause vor der Saison arbeiten können, zuletzt in Brisbane lief alles gut, ich hab Einzel und Doppel gespielt, und das heute war die Art von Sieg, die ich gebraucht habe.“