Bewölktes Glück

Die Sammlerin Leonie von Rüxleben hat im Jahr 2004 der Stadt Lübeck 1.300 grafische Selbstporträts geschenkt. Einige werden nun erstmals gezeigt – während die Juristen streiten

von Benno Schirrmeister

Ablandiger Wind hat das Gewitter noch einmal aufs Meer hinaus gedrückt, zurück in die Lübecker Bucht. Trocken ist die Luft, heiß und der Backstein der Lübecker Bürgerhäuser scheint zu stauben. Tiefer in den Winkeln der Altstadt, hinter den kastanienbeschatteten Gässchen, die das doofe Cityplänchen der Touri-Zentrale nicht verzeichnet, findet sich die St. Annen-Kunsthalle. Zeitgenössische Kunst, 2003 war Eröffnung, der Umbau der alten Klosterkirche hat sogar einen Architekturpreis bekommen: ein junges Museum. Aber schon tief in einen Erbstreit verwickelt.

Die Ursache des Erbstreits hätte man vor zwei Jahren noch als reinen Glücksfall bezeichnet: 2004 übergab die Hamburgerin Leonie von Rüxleben der Hansestadt Lübeck ihre Kunstsammlung, weit über 1.000 Grafiken, ausschließlich Selbstporträts, von der klassischen Moderne bis zur Gegenwart. Eine bedeutende Schenkung, mehrere Museen waren interessiert, Gottorf zum Beispiel, aber auch Braunschweig. St. Annen bekam den Zuschlag – damals. Jetzt werden erstmals 44 Arbeiten daraus öffentlich präsentiert, während gleichzeitig hinter geschlossenen Türen das Rechtsamt der Stadt mit den Anwälten des Spenderinnen-Sohns verhandelt: darüber, ob die Sammlung in Lübeck verbleiben kann.

Der Sohn droht mit Klage

Vor einem halben Jahr hieß es noch: Man habe keine Zweifel, dass alles rechtens, unter Dach und Fach und der Vertrag eingehalten sei. Heute tun die offiziellen Stellen kund, selbstverständlich sei man bemüht,die Sammlung zu halten. Es könne aber auch anders kommen. Und das würde man gegebenenfalls „sehr bedauern“. Der Rüxleben-Sohn dagegen hat öffentlich eine Klage angedroht – das war im Januar –, der Schenkungsvertrag sei verletzt, hieß es. Wie kunstinteressiert er ist, ist unbekannt. Fest steht aber, dass seine Unterschrift unter der Erbabtretungserklärung nicht notariell beglaubigt ist. „Er macht einen Pflichtteil-Ergänzungsanspruch geltend“, klärt Lübecks Pressesprecher auf. Das Verfahren schwebe, die Juristen stünden in regem Kontakt – „die Stadt strebt eine außergerichtliche Einigung an“.

Und der Streit? „Das kann nicht in ihrem Sinne sein“, vermutet Ute Harms. Ute Harms hat Leonie von Rüxleben kennen gelernt, da war sie selbst noch ein Kind. Die 1920 in Berlin geborene Freifrau nämlich war in der Firma von Harms Vater angestellt, Otto F. K. Franke GmbH, das Unternehmen gibt’s noch immer: ein Getreidemakler in Hamburg. Rüxleben sei die erste Frau gewesen, die an der Getreidebörse als Maklerin zugelassen war. Und ihr Spezialgebiet war französische Brauereigerste. „Sie konnte ja exzellent Französisch“, sagt Harms, die Sprache habe sonst keiner in der Firma beherrscht. „Ich sehe sie heute noch vor mir, wie sie, mit der Gauloise in der Hand, im Büro irgendetwas Französisches ins Telefon nuschelt.“

Kühl ist es in der Kunsthalle, angenehm kühl, und auch der hitzige Streit scheint nicht aufs ehemalige Augustinerinnen-Konvent übergegriffen zu haben. Doch dass die Ausstellung stattfindet, muss man schon wissen, wenn man sie sehen will. Nur ein an den Sichtbeton des schmalen Treppenhauses gepinnter, computerbedruckter DIN A4-Zettel weist frostig darauf hin: „Die Kunst des Selbstporträts Sammlung Leonie von Rüxleben“, steht auf dem Blatt. Und ein Pfeil zeigt nach unten. Es gibt wohl auch einen Flyer. Aber an der Kasse ist der gerade ausgegangen.

Im Kunstlicht-Keller

Im Keller ist die Schau gelandet, „bewusst“, sagt Museumsdirektor Thorsten Rodiek, „weil wir dort das Kunstlicht haben“. Papierarbeiten drohen zu vergilben. Für Zeichnungen, Aquarelle, Pastelle und Grafiken gelten 50 Lux als Maximum, bis zu 100.000 hat das Tageslicht im Sommer. Und Plakate werden „für Kabinettsausstellungen nie gedruckt“, heißt es seitens der Stadtverwaltung.

Von der Sammlerin selbst sind keine Bilder aufzutreiben. Malen hat sie sich nicht lassen, scheint’s, und auch Fotos sind nicht bekannt. „Leonie war eine sehr bescheidene Frau“, sagt Ute Harms, zugleich auch „eine Type“, durchaus schnoddrig, aber „nicht das, was man unter Berliner Schnauze versteht“. Dass sie immer Hosen getragen habe, erinnert sie sich, „das war ungewöhnlich in den 1970er-Jahren“. Im Schrank habe sie „einen Rock gehabt, den musste sie für die Börse anziehen“: Emanzipation hat auch etwas mit Inszenierungen zu tun – vielleicht –, aber ein Schlüssel zur Frage, warum von Rüxleben gesammelt hat, ist das noch nicht.

Und Harms besitzt auch keinen: Theater sei eine ihrer Leidenschaften gewesen und kunstinteressiert war sie, sehr sogar. Oft seien sie gemeinsam zu Vernissagen gegangen, später hat Harms dann Kunstgeschichte studiert und selbst ein Museum in Uetersen aufgebaut. „Ich wusste zwar, dass sie sammelt“, sagt Harms, aber das habe sie höchstens „mal beiläufig erwähnt“, jedenfalls „nie damit angegeben“. Sie habe immer gedacht, das geschehe so nebenbei, „aber das kann es ja nicht gewesen sein“. Die Ausmaße habe sie „nicht im Entferntesten geahnt“.

Glücklich wäre sie wohl gewesen, vermutet Harms, dass es jetzt geklappt hat mit der Ausstellung. Und dass sich die Vorbereitung in die Länge gezogen hat, habe sie ihr gegenüber bedauert: „Sie hat gesagt: ,Schade, aber da kann man nichts machen‘“, erinnert sich Harms. Das klingt resignativ und es ist von einer schneidenden Traurigkeit, weil Leonie von Rüxleben, die ihre große und sehr private Leidenschaft öffentlich hat machen wollen, den Tag, an dem es dann geschehen ist, selbst nicht mehr erlebt hat. Im Herbst 2005 ist sie in Hamburg gestorben.

Der Zorn des Peter E.

Das Tiefdruckgebiet über Lübecks Museumslandschaft heißt Peter E. Im Hamburger Telefonbuch firmiert Peter E. als Redakteur, aber das sollte man nicht schreiben, weil ihn das schrecklich aufregt und er es nach eigenen Angaben auch „nicht mehr“ ist. Überhaupt ist Herr Peter E. beseelt vom Zorn des Gerechten und aufbrausend und wer da Zweifel an seiner Version äußert, ist sein Feind und eine Ratte. Das macht es schwer, mit Herrn E. zu kommunizieren. Von Rüxleben aber hatte kein Problem mit Peter E., wohl auch, weil sie die Leidenschaft für Selbstporträts teilen. Peter E. war diesbezüglich ihr Vertrauter in den späten Jahren. Er hat ihr geholfen, die Werke zu ordnen, und am Ende hat sie ihn mit einer Vollmacht für die Belange der Sammlung ausgestattet.

Im Dezember hat Peter E. dann Krach geschlagen. Die Kunsthalle hatte ja vertraglich zugesichert, die Bilder jedes Jahr einmal zu zeigen. Geschehen war das seit 2004 noch nicht einmal: Laut Rodiek, weil zuerst alles erfasst und vermessen und digitalisiert werden musste, und man die Sammlung so vollständig wie möglich online zugänglich machen wollte und letztlich ja die gesamte Kunsthallen-Sammlung selbst noch in der Mache war. „Der Vertrag ist gebrochen“, befand dagegen strikt Herr E., da beiße „die Maus keinen Faden ab“.

Und dass man, wenn man eine Vereinbarung nicht erfüllen könne, sie auch nicht schließen dürfe. Als dann der Lübecker Museumsdirektor schließlich ankündigte, die versprochene Ausstellung im Juni endlich nachzuliefern, grollte der Herr E. gleich, dass es „diese Ausstellung nicht geben“ werde. Nicht er, weil dafür die Vollmacht nicht reiche, aber der Sohn der Spenderin werde Klage einreichen. Dass sich jetzt die Juristen über die Materie beugen, „verdanken wir allein dem Herrn E.“, behauptet zumindest Rodiek.

Es gibt Klassiker in der Sammlung, Kollwitz, Vogeler und Kokoschka. Es sind Überraschungen dabei: Rudolf Hausner zum Beispiel, ein Österreicher, der sich 1973 mit einem schrillen „roten Narrenhut“ auf grünem Grund entwarf. Es sind rätselhaft-skurrile Ich-Bilder zu sehen: „Nasenzentralisation“ nennt Arnulf Rainer das seine. Und tatsächlich laufen schwarze Tintenlinien sternförmig auf den Platz zu, wo die Nase ihre Spitze hätte, quer über den ganzen Druck, es ist nur dieser Punkt wirklich zu sehen, die Kopfform bloß zu ahnen. Doch verborgen bleibt, wonach man die Ausstellung in der Krypta geordnet hat. Ist es etwa ganz profan die Bildgröße? Das kann’s ja wohl nicht sein. Und was ist die Idee der Auswahl? Hat man die Highlights der Sammlung herausgepickt?

„Nein“, sagt Rodiek, da seien zwar „einige darunter“, aber das war es nicht. Das Ziel sei vielmehr gewesen, „die Vielfalt der Stile zu zeigen“. Und gehängt sei die bunte Vielfalt chronologisch, nämlich rechts der Treppe nach, links von ihr dagegen vor 1945, bezogen allerdings „auf die Hauptschaffenszeit der Künstler“, nicht auf die Entstehung des Bildes. Salvador Dalís Selbstporträt von 1968 findet sich auch dort.

Erläuterungen? „Das wäre in der Zeit nicht zu leisten gewesen, zu jedem Künstler“, sagt Rodiek, „das wäre zu viel Arbeit.“ Also gibt es nur eine Tafel, auf der steht, was auch in der Pressemitteilung zu lesen ist: dass Leonie von Rüxleben 1920 in Berlin geboren und 2005 in Hamburg gestorben sei. „85-jährig“, präzisiert der Text noch für Arithmetisch-Schwache, und dass sie binnen 40 Jahren rund 1.300 grafische Selbstporträts gesammelt und diese nebst umfangreicher Korrespondenz mit den Künstlern Lübeck vermacht habe. Was nicht sehr enthusiastisch klingt.

Der Pflicht aber ist so genüge getan und Peter E. ins Unrecht gesetzt: Von wegen, diese Ausstellung wird es nicht geben! Nicht einmal ein Eilantrag ist beim Amtsgericht gestellt worden, der Lübecks verspätete Vertragserfüllung hätte stoppen können. Man hat, so lässt sich sagen, den großen Knall riskiert, gehofft, dass er vorüber zieht. Und ganz formal auch vorläufig gewonnen. Nur der Grund, warum man diese Bilder überhaupt haben wollte, der scheint ein wenig abhanden gekommen. „Es kann schon sein“, räumt der Herr Rodiek ein, „dass man über diesen ganzen Streitigkeiten mitunter die Lust verliert.“

Ausstellung bis 20. 8. im graphischen Kabinett der Kunsthalle St. Annen