aus der mensa: hitzewitze von HARALD KELLER
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„Der Herr schenke uns einen frühen Herbst“, seufzt Geierschnabel, nachdem er seinen klapprigen Leib schwer auf die Eckbank hat fallen lassen. Hohe Temperaturen bereiten ihm höchstes Unbehagen, das gelegentlich in Jähzorn umschlägt.

Die Damen, die bei 25 Grad bereits ihre eleganten Schals enger ziehen und bei frösteligen 20 Grad die Heizung hochjagen, bis sich der Treibhauseffekt einstellt, protestieren aufgeregt. „Was hast du nur immer gegen den Sommer?“, rätselt Hanni. „Der Sommer hat was gegen mich“, kommt es von Geierschnabel, „denk nur an die Begleiterscheinungen: Schweiß. Fruchtfliegen. Männer in kurzen Hosen. Vergammelte Lebensmittel. Wassermangel …“ Keiner hat Geierschnabels Genuschel so recht verstanden. Droll springt ein. „Ein bisschen Regen wär mal nicht schlecht. Eine große Dürre reicht mir.“ Hanni, die sich angesprochen fühlt, versetzt ihm einen Fausthieb. Leise winselnd reibt er sich die Schulter.

Geierschnabel schaufelt derweil wortlos seine Mahlzeit in sich hinein und wird deswegen bespöttelt. Kurz überwindet er sein Phlegma und klärt die unwissenden Verballümmel auf: „Ihr wisst doch: Essen ist der Sex des Alters. Und bei mir begann das Alter unmittelbar nach der Pubertät.“ – „Du Armer“, heuchelt Droll. „Hast die Freuden der Fleischeslust nie kennen lernen dürfen?“ – „Das würde ich so nicht sagen“, bescheidet ihn Geierschnabel und hält demonstrativ ein aufgespießtes Stück gebratene Ente in die Höhe.

„Hier wird doch wieder mit Cannelloni auf Spatzen geschossen“, nörgelt Strunk. Er hat seit einiger Zeit Rückenschmerzen, was den Umgang mit ihm nicht einfacher macht. „Geh doch endlich mal zum Arzt“, empfiehlt Notthoff. „War ich doch“, bekommt er zur Antwort. „Heute morgen hatte ich meine erste Reha.“ – „Und, wie war’s?“, nutzt Droll die Vorlage. „Hast du auch schon dein Reha-Gel verschrieben bekommen?“ Er erntet abfälliges Murren und Gemurmel.

„Ein echter Hitzewitz“, reklamiert Geierschnabel. „Noch schlechter als die Jahresendwitze.“ – „Was sind Jahresendwitze?“, möchte Babs, die man nie Babsi nennen darf, gern wissen. „Jahresendwitze haben Restpostenqualität – nach dem Motto ‚alles muss raus‘.“ – „Und Hitzewitze?“ – „Noch eine Kategorie tiefer. Die passen selbst dann noch unter der Niveaulatte durch, wenn die schon platt auf dem Boden liegt.“

An Klumpe ist dieses feine Gespinst philologischer Erörterungen völlig vorbeigegangen. Kurz beugt er sich vor aus seiner verwölkten Welt in die der anderen, denn er möchte vor Nannis Erscheinen noch schnell besprechen, was man ihr denn zum anstehenden Geburtstag schenken könnte. Er hat auch schon einen Vorschlag, er will ihr „etwas Gebranntes“ mitbringen. „Gebrannte Mandeln?“, fragt Geierschnabel schrecklich naiv.

Die nicht regelmäßig am Mensatisch anwesende Babs ist verwirrt. „Das Gespräch bewegt sich ja mal wieder von Pontius zu Pilatus“, beschwert sie sich. „Und das geht schon so seit Adam und Uefa“, trumpft Droll auf.

„Und, du hast doch bestimmt auch noch einen?“, feixt Notthoff den stillen Geierschnabel an. Der verzehrt gerade schmatzend den letzten Bissen und lobt zufrieden: „Der Maitre kochte vor Wut, aber er kochte nicht schlecht.“