Schlussplädoyers im Saddam-Prozess

In Abwesenheit der meisten Angeklagten geht das Verfahren gegen den irakischen Exdiktator in die letzte Phase. Das Anwaltsteam des Hauptangeklagten droht mit Boykott. Nach dem Mord an einem Kollegen fordert es einen besseren Schutz

AUS SULEIMANIYA INGA ROGG

Der erste Prozess gegen Saddam Hussein und sein Regime ist gestern mit den Schlussplädoyers der Verteidigung in seine letzte Phase getreten. Anders als allgemein erwartet, entschied sich das Gericht aber offenbar, die acht Angeklagten und ihre Verteidiger einzeln zu hören. So standen gestern nicht der frühere Diktator und seine Verteidiger im Mittelpunkt, sondern Ali Daie, ein ehemaliger Funktionär der Baath-Partei in Dujail.

Überschattet wurde die Verhandlung vom Mord an dem Verteidiger Khamis al-Obeidi. Obeidi war am 20. Juni, nur einen Tag nach den Schlussplädoyers der Anklage, aus seinem Haus in Bagdad verschleppt und von den Kidnappern erschossen worden. Seine schwer misshandelte Leiche war wenige Stunde später in einem schiitischen Viertel aufgefunden worden. Das Verteidigerteam hatte daraufhin schiitische Milizionäre für die ruchlose Tat verantwortlich gemacht. Der Vorsitzende des Gerichts, Rauf Rashid Abdulrahman, verurteilte gestern die Tat. Aus Furcht vor weiteren Anschlägen wurde das Gesicht des Verteidigers von Daie nicht gezeigt. Zudem wurde seine Stimme technisch unkenntlich gemacht. Daie selbst wies jede Beteiligung an dem Verbrechen in Dujail zurück. Es bereite ihm Qualen, dass er wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt werde, sagte Daie. Er sei nicht mehr als ein kleiner Angestellter und unterer Kader der Baath-Partei gewesen und habe nichts mit dem Verbrechen zu tun.

Die Anklage hatte Daie Mittäterschaft an der Ermordung und Deportation von Schiiten in der Ortschaft nördlich von Bagdad vorgeworfen. Nach einem gescheiterten Attentat auf Saddam im Juli 1982 hatte das Regime mehrere hundert Bewohner aus Dujail deportiert, 148 Männer, unter ihnen auch Minderjährige, wurden später hingerichtet oder starben unter Folter. Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit hatte Chefankläger Jaafar al-Mussawi für Saddam und dessen Halbbruder Barzan sowie den ehemaligen Vizepräsidenten Taha Jassin Ramadan in seinem Schlussplädoyer die Todesstrafe gefordert. Die Anklage gegen Daie und drei weitere Baath-Funktionäre aus Dujail ließ er jedoch weitgehend fallen.

Der Prozess soll in den nächsten Tagen mit der Anhörung der anderen sieben Angeklagten und ihrer Verteidiger fortgesetzt werden. Ob es dazu kommt, war gestern zunächst ungewiss. Kurz nach Beginn der Verhandlung drohten das Verteidigerteam von Saddam mit einem Boykott des weiteren Prozesses, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden. Unter anderem verlangen sie von den USA besseren Schutz. Die Amerikaner haben freilich wiederholt geltend gemacht, sie hätten den Anwälten mehrfach ihre Dienste angeboten, was diese jedoch abgelehnt hätten. Darüber hinaus forderten die Verteidiger eines Untersuchung des Mordes an Obeidi sowie eine Vertagung des Prozesses, damit sich die Verteidigung besser vorbereiten kann.

Alle Anwälte hätten Drohungen erhalten, sagte der ehemalige katarische Justizminister Najib Nueimi, der ebenfalls dem Verteidigerteam angehört. Aus Angst hielten sich zahlreiche von ihnen in Jordanien versteckt. Nach Angaben von Abdulrahman hat das Gericht die Forderungen erhalten. Es habe diese jedoch zurückgewiesen, weil sie entweder nicht in die Autorität des Sondertribunals fielen oder geltendes Recht verletzten.