Soko Hooligan beendet WM-Einsatz


Mit dem Hooligan-Gesetz wollen die Schweizer potenzielle „Störer“ nach Vorbild der ZIS erfassen

AUS NEUSS HOLGER PAULER

Von weltmeisterlichem Glanz und Glamour keine Spur. Das siebenstöckige Haus an der zweispurigen Hauptstraße konterkariert die aufgeputschte Stimmung im Fußball-Land. Braune Platten, graue Rollläden – das Bildungszentrum Neuss der nordrhein-westfälischen Polizei ist ein Zweckbau. Und er hat seinen Zweck erfüllt. In den vergangenen Wochen wurden hier die bundesweiten Polizeieinsätze zur Fußball-WM koordiniert, wurden Daten und Informationen weiter gegeben. Mit dem letzten Elfmeter des Turniers am Sonntagabend und dem Pokalgewinn Italiens endete die Arbeit der Zentralen polizeilichen Informationsstelle Sporteinsätze WM 2006 (ZIS WM 2006).

Pünktlich zur Weltmeisterschaft war die beim Landeskriminalamt (LKA NRW) beheimatete ZIS von Düsseldorf über den Rhein ins benachbarte Neuss gezogen. Es schien so, als wollte sich die so genannte Hooligandienststelle vor ihrer Klientel verstecken. Der Hörsaal für 60 Personen im Erdgeschoss, eingerichtet im 70er Jahre Kunststoff-Stil, wurde zum Kommunikationszentrum umgebaut. In den oberen Etagen wurden die Standleitungen zur Außenwelt eingerichtet, in den quadratisch-praktischen Büroräumen liefen täglich die Drähte heiß. Für Erholung sorgte eine kleine Kantine mit Terrasse im Erdgeschoss. Ursprünglich geplant zur Schulung nordrhein-westfälischer Polizeischüler, sollte von hier aus vier Wochen lang die Sicherheit des größten Massenspektakels der Welt gewährleistet werden.

„Der Umzug hatte rein logistische Gründe“, sagt ein ZIS-Sprecher. Zur WM wurde die Belegschaft auf mehr als 200 aufgestockt. In der WM-freien Zeit kümmern sich gerade einmal 16 Beamtinnen und Beamte um als potenzielle Gewalttäter eingestufte Fans. 34 Polizeibeamtinnen und -beamte aus den „Teilnehmer-, Anrainer- und Transitstaaten“ hätten nach Angaben des NRW-Innenministeriums während der WM die ZIS unterstützt. Mehr als 500 ausländische Kontaktbeamte seien an den Spielorten gewesen. Bis zu 1.000 Informationen über verdächtige Personen, Störungen oder Grenzüberschreitungen trudelten täglich bei der ZIS ein.

Die „Endgültige WM-Bilanz“ des NRW-Innenministeriums liest sich dabei recht solide: „Unser Sicherheitskonzept für die Fußball-WM hat hundertprozentig gepasst. Vor allem die hervorragende Zusammenarbeit mit den internationalen Polizeiexperten hat sich sehr bewährt“, sagte Innenminister Ingo Wolf (FDP) am Montag. Die Polizeibehörden verzeichneten im Zusammenhang mit den WM-Spielen und den Public-Viewing-Veranstaltungen bundesweit insgesamt 7.000 Straftaten, davon entfielen etwa 1.500 auf NRW – meistens kleinere Delikte. Insgesamt wurden rund 9.000 Personen fest- oder vorbeugend in Gewahrsam genommen. „80 Prozent waren Deutsche, die zweitgrößte Gruppe dürften die Engländer gewesen sein“, sagte der Chef der ZIS, Michael Endler.

Im Vorfeld und während der WM wurden in NRW insgesamt 3.125 als „Gewalttäter Sport“ registrierte Fans von den örtlichen Polizeibeamten aufgesucht. „383 Gewalttäter, die bei diesen so genannten Gefährderansprachen wenig Einsicht zeigten, mussten sich während der WM regelmäßig auf ihren örtlichen Polizeiwachen melden. 1.070 Gewalttätern wurde der Aufenthalt an den Spielorten oder bei WM-Veranstaltungen durch Bereichsbetretungsverbote untersagt“, heißt es in der Mitteilung des Innenministeriums. „Sämtliche Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet. Auch die Fans aus England, Polen und den Niederlanden haben sich überwiegend vorbildlich verhalten“, sagte ZIS-Chef Endler.

Die Praxis ist dabei nicht unumstritten. 1991 fasste die Innenministerkonferenz der Länder den Beschluss, „den Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden bei größeren Sportveranstaltungen zu standardisieren“. Ein Jahr später entstand beim nordrhein-westfälischen Landeskriminalamt (LKA NRW) die ZIS. Seit 1994 wird dort die Datei „Gewalttäter Sport“ verwaltet, um vermeintliche Hooligans von Sportveranstaltungen fern zu halten.

Für die Aufnahme in diese Datei bedarf es keines Ermittlungsverfahrens und keiner Verurteilung, es reicht die Feststellung der Personalien am Rande eines Fußballspiels. Seit 2004 stieg die Zahl der gespeicherten Stadionbesucher um 3.000 auf mittlerweile mindestens 7.000. Inoffizielle Schätzungen gehen von bis zu 10.000 Personen aus. „Es wird der Eindruck vermittelt, dass die Auseinandersetzungen bei den Spielen immer heftiger werden. Dabei ist die Tendenz seit den 90er Jahren rückläufig“, sagt Heiner Busch, Redakteur der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei. Zur WM befasste sich das Blatt unter dem Titel „WM 2006: Die Welt überwacht von Freunden“ mit den polizeilichen „Zwangsmaßnahmen gegen die überwiegend jungen Fans“. „Eine vom ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zugesagte Beschwerdestelle für Fußballfans ist bis heute nicht eingerichtet worden“, so Busch. Die Jugendlichen müssten zusehen, wie ihre ungeschützten Daten weitergegeben werden

„Die Daten bleiben auch über die WM hinaus erhalten“, sagte Susanna Deeken-Heusgen von der ZIS. Erfasste Fans müssen auch in der kommenden Saison der ersten und zweiten Fußballbundesliga mit Stadionverboten, Meldeauflagen und regelmäßigen Hausbesuchen rechnen. Etlichen Fans dürfte die Ausreise zur Fußball-Europameisterschaft 2008 in Österreich und der Schweiz auf Grundlage der ZIS-Daten verweigert werden.

Die Effektivität des bundesdeutschen Systems hat dafür gesorgt, dass andere Länder nachziehen. Der Schweizer Bundesrat hat im vergangenen Frühjahr eine Verschärfung des „Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit“ beschlossen. Mit dem so genannten „Hooligan-Gesetz“ sollen potenzielle „Störer“ von Fußballspielen demnächst nach Vorbild der ZIS zentral erfasst und schneller bestraft werden.

Am morgigen Donnerstag endet das Referendum Schweizer Fußballfans zur Verhinderung des Gesetzes. 50.000 gültige Unterschriften wären hierfür notwendig, 35.000 seien nach Angaben des Referendum-Sprechers Ruben Schönenberger bislang gesammelt. Wegen zu erwartende doppelter und ungültiger Unterschriften fehlten also knapp 20.000 Unterschriften. „Es muss schon ein Wunder geschehen“, sagt Schönenberger. Und da Wunder im Fußball eher selten geschehen, steht dem Aufbau der Schweizer Hooligandatei nichts mehr im Wege.

Die ZIS wird den Schweizer Kollegen beim Aufbau der Hooligandatei helfen. „Während der WM hatten wir Besuch von einer Schweizer Delegation“, sagte ein Sprecher der ZIS. Die Gäste seien von der erfolgreichen Arbeit beeindruckt gewesen. Auch die Datenerfassung der deutschen Fans geht weiter – ab morgen wieder in Düsseldorf.