Beim Fernsehtherapeuten

Jeder Mensch ein Patient: Trotz Abschieds der Stammautoren setzt sich das Prinzip Bloch fort – heute durchstößt Dieter Pfaff mit Verve ein familiäres Schweigesystem („Bloch – Die Wut“, 20.15 Uhr, ARD)

VON CHRISTIAN BUSS

So viel geballte Weltverachtung in solch einem zierlichen Körper: Sonja (Janina Stopper) ist fünfzehn und nicht besonders groß, aber wenn sie mit finsterem Blick auf einen zukommt, springt man lieber schnell zur Seite. Nur Bloch (Dieter Pfaff) bleibt stehen. Weil er schwer und massiv ist. Und weil er wohl auch gar nicht will.

Erst lässt er sich also von dem wütenden Mädchen mit dem Skateboard über den Haufen fahren und dabei die Brieftasche abnehmen, später bekommt er eine erschütternde Geschichte aufgetischt: Ihre Mutter sei eine Hure, erzählt Sonja, sie selbst fortgelaufen aus einem Heim. Bloch gewährt der Ausreißerin für die Nacht Unterkunft – wofür die sich bedankt, indem sie den Familienschmuck mitgehen lässt und den Kühlschrank leer räumt.

Natürlich ist Sonja gar kein Heimkind; tatsächlich stammt sie aus gutbürgerlichem Hause, wie Bloch bald feststellt. Aber auch die Eltern des Mädchens (Johanna Gastdorf und Bernhard Schütz) tragen offensichtlich eine Menge aufgestaute Wut mit sich rum. Der Vater mauert, die Blicke der Mutter flehen still um Hilfe.

Gut gemeinte Lügen und böse Geheimnisse – das ist der Stoff, der Familien aufs Unheilvollste zusammenschweißt.

Das eingespielte Duo Jochen Bitzer (Buch) und Christoph Stark (Regie) hat unlängst schon einmal so ein familiäres Schweigesystem unter die Lupe genommen: In der ARD-Produktion „Der Vater meiner Schwester“ ließen die beiden Filmemacher einen Halbwüchsigen auf aberwitzige Weise Kontakt zu seinem Vater aufnehmen, der ihn als Sohn verleugnet.

Und letztlich ist auch das zornige Gebaren der kleinen Heldin in „Die Wut“ nur ein Mittel, das Leugnen und Verdrängen in der eigenen Familie zu durchbrechen. Wird die Wahrheit unterdrückt, bricht sie sich irgendwann eben umso brutaler Bahn. Der Fernsehtherapeut kommentiert und lenkt diesen schmerzvollen psychosozialen Heilungsprozess gewohnt distanziert, findet in dem Fall aber auch Spiegelungen ins eigene, alles andere als vollkommene Leben. Das Prinzip Bloch wird in der Reihe also auch ohne die Stammautoren Pea Fröhlich und Peter Märthesheimer (verstarb 2004) weiter verfolgt.

Nur eines wünschen wir uns für die Zukunft: dass Bloch mit Lebenspartnerin (Ulrike Krumbiegel) und Tochter (Katharina Wackernagel) nicht jeden Fall analytisch am Küchentisch zerrupft. Kaum kommt da jemand ins Haus, hat jeder im Therapeutenclan eine Deutung parat. Jeder Mensch ein Patient – diese Gleichung macht das Dasein ganz schön anstrengend. Klar, die Wahrheit muss ans Licht gebracht werden, auf dass das Leben angstfrei seinen Lauf nehmen kann.

Aber manchmal muss man eben auch den Mund halten, damit das Leben überhaupt erst beginnen kann.