Wo Popförderung der Standard ist

POP Vom niederländischen Modell lernen: Das Eurosonic in Groningen gilt als wichtigstes Clubfestival Europas. Neben einer Reihe an Berliner Bands ließen sich vergangenes Wochenende auch hiesige Pop-Institutionen sehen

Nicht nur für die Musiker lohnt es, nach Groningen zu reisen

VON JENS UTHOFF

Am Anfang des Jahres, mitten im Januar, freuen sich Musiker ganz besonders, wenn sie ins niederländische Groningen reisen dürfen. Denn wer auf dem zu dieser Zeit stattfindenden Eurosonic-Festival spielt und dort überzeugt, wird oft einem größeren Publikum bekannt. Es gilt als wichtigstes Clubfestival Europas, parallel findet eine Musikkonferenz statt. Die heute großen Pop-Acts James Blake, Lykke Li und The XX spielten hier, und auch für Berliner Interpreten war die Einladung zum Festival in der Vergangenheit der Start in eine größere Karriere: für Wir Sind Helden, Agnes Obel oder die Beatsteaks zum Beispiel.

Auch am vergangenen Wochenende, bei der 28. Ausgabe des Festivals, waren dort sieben Berliner Bands zugegen. Aber nicht nur für die Musiker lohnt es, nach Groningen zu reisen. Mit Björn Döring und Tommy Nick waren etwa Vertreter der Berlin Music Week (BMW), des vergleichbaren Berliner Events mit der Kombination aus Konzerten und Konferenz, und mit Tatjana Kaube die Referentin des Musicboard Berlin in den Niederlanden zu Gast.

Neben der bloßen Repräsentanz der Institutionen ging es für sie auch darum, von den Modellen im Nachbarland zu lernen: Pop-Institute wie das Musicboard, das vom Berliner Senat Anfang 2013 eingerichtet wurde, gibt es in den Niederlanden bereits seit den 70ern, Popförderung ist Standard dort. Kaube sieht Berlin „mit dem Musicboard ganz gut aufgestellt, aber es gibt immer Luft nach oben.“

Nachdem das Musicboard 2013 mit einem Budget von einer Million Euro gestartet ist, sind es in den kommenden beiden Jahren bereits 1,5 Millionen Euro, die es vom Senat erhält. Verwendet werden sie für die Künstlerförderung, Stipendien und Standortmarketing: „Wir wollen Berlin als Produktionsstandort Nummer eins für Musik in Europa etablieren“, sagt Kaube. Zudem wolle man Berliner Labels bei der Digitalisierung ihrer Archive unterstützen. Ab 2015 soll auch die BMW vom Musicboard organisiert werden.

Der Popstandort Berlin solle sich inhaltlich auf das konzentrieren, was ihn stark macht, erklärt Kaube: „Dazu gehört die ausgeprägte Start-up-Szene, auch im Bereich der Musik.“ Was die großen Eurosonic-Konferenzthemen wie die Entwicklung digitaler Märkte angeht, so seien sie für das Musicboard „wichtig, um etwa Projektanträge inhaltlich bewerten oder die Vorhaben unserer Stipendiaten beurteilen zu können.“

Björn Döring und Tommy Nick, Leiter beziehungsweise Pressereferent der BMW, holen sich ebenfalls inhaltlichen Input in Groningen – lernen aber auch, was man an der Spree anders machen sollte als die Niederländer. „Die Berlin Music Week darf nicht quadratisch, praktisch, gut werden“, sagt Döring mit Verweis auf die sehr geordneten Bahnen, in denen das Eurosonic läuft. Das Chaotische, das Berlin auch ausmacht, dürfe man auch während der BMW ruhig spüren.

In der jetzigen Form besteht die BMW, die den Tod der in Berlin nicht gerade beliebten Popkomm überlebt hat, seit 2010. Langsam entwickeln müsse sie sich für Döring: „Erst mal fangen wir jetzt in Kreuzberg an, dann werden wir stetig wachsen.“ In Deutschland werde man irgendwann konkurrenzlos dastehen. Vergleichbar mit der BMW ist derzeit das Reeperbahn-Festival in Hamburg. Was man aber auch merkt, wenn man sich mit den Berliner Vertretern unterhält: Die hiesige Musikszene muss die BMW annehmen. Vielen gilt sie als kommerzielles Spektakel, als bloßes Branchentreffen – und Szene-Puristen haben nach wie vor Probleme mit der staatlichen Förderung des Pop. Dass das Konzept Clubfestival gut funktioniert, sieht man in Groningen, wo die Veranstaltung 40.000 Besucher verzeichnete.

Die sahen auch Berliner Künstler satt. Beispielsweise die österreichischen Wahlberliner von Ja, Panik. Die wurden im Vera erst sehnsüchtig erwartet, der Saal war voll – und dann gingen viele auch wieder. Als Live-Act, im Ausland, wo die Leute sie und ihre Fertigkeit, Diskurse in wenige Worte und Akkorde fassen zu können, nicht kennen, funktionieren Ja, Panik nicht. Im News Café der Groninger Innenstadt standen 300 Besucher dagegen wie angewurzelt da, als Kat Frankie, die aus Australien nach Berlin gekommene Sängerin samt Band ihr halbstündiges Set spielte. Auf ihr kommendes Album darf man gespannt sein: Frankie, aus dem Songwriter-Genre kommend, scheint sich noch mehr als auf dem 2012er-Album „Please Don’t Give Me What I Want“ in Richtung Soul zu öffnen.

Etwas enttäuschend dagegen die HipHop- und R’n’B-beeinflusste Dena und die hoch gehandelte 80er-Pop-Combo Ballett School. Beiden Acts, der 30-jährigen Dena und dem irisch-japanisch-brasilianischen Trio, gelang es zu selten, Spannung aufzubauen. Bei Letzteren vermisste man trotz der tollen Stimme von Rosie Blair eine Vision, wohin ihre Musik steuert. Allerhand 80er-Referenzen waren zu hören, mehr auch nicht.

Die ganz große Entdeckung aus Berlin gab es 2014 bei Eurosonic also nicht zu bestaunen. Aber die kann die Berlin Music Week im September ja zutage fördern. Dann darf man übrigens ruhig etwas tiefer im Underground wühlen als die Groninger.